Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosenversicherung: Verfassungsmäßigkeit der fiktiven Bemessung des Arbeitslosengeldes bei Selbstständigen

 

Leitsatz (amtlich)

Die Zugrundelegung eines fiktiven Bemessungsentgelts unter Berücksichtigung der Qualifikationsgruppen des § 152 Abs. 2 SGB III bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes bei Selbständigen verstößt nicht gegen Verfassungsrecht. Die für die Zeiträume der freiwilligen Weiterversicherung nach § 28a SGB III pauschal geleisteten Beiträge sind dabei unerheblich.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 04.03.2016 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe des Arbeitslosengeldes (Alg) im Hinblick auf eine fiktive Bemessung einer zuvor Selbständigen, die in einem Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag gestanden hat.

Die Klägerin, die nach Angaben ihrer Bevollmächtigten über keine abgeschlossene Ausbildung verfügt, war in der Zeit vom 01.04.2008 bis 31.05.2015 als Paketzustellerin selbständig tätig. Sie stand dabei in einem Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag wegen einer freiwilligen Weiterversicherung.

Zum 01.06.2015 meldete sie sich arbeitslos und beantragte die Zahlung von Alg. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 12.06.2015 Alg für die Zeit vom 01.06.2015 bis 30.05.2016 iHv 30,02 €. Im Hinblick auf eine Beschäftigungsaufnahme hob die Beklagte die Leistungsbewilligung ab 23.09.2015 wieder auf (Bescheid vom 30.09.2015). Zur Bemessung des Alg führte die Beklagte mit Schreiben vom 24.07.2015 aus, es habe in den letzten zwei Jahren ein Anspruch auf Arbeitsentgelt für weniger als 150 Tage bestanden, weshalb ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen sei. Die Klägerin sei für eine Tätigkeit als Lager- und Transportarbeiterin geeignet, wofür eine Ausbildung erforderlich sei (Qualifikationsstufe 3).

Gegen die Höhe des bewilligten Alg legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie habe Beiträge nach der monatlichen Bezugsgröße geleistet, so dass sich das Alg hieran zu orientieren habe. Andernfalls käme es zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung zu Versicherungspflichtigen, deren Leistungen sich ebenfalls aus dem Betrag errechneten, der der Beitragspflicht zugrunde liege. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2015 zurück.

Die Klägerin hat dagegen beim Sozialgericht Augsburg (SG) Klage erhoben. Eine fiktive Bemessung des Alg bei Selbständigen verstoße gegen Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG). Da bei der Berechnung der Beiträge auf die Bezugsgröße abgestellt werde, müsse sich auch das Alg danach richten. Unerheblich sei, auf welche Tätigkeiten eine Vermittlung zu richten sei. Beiträge von Selbständigen würden im Vergleich zu abhängig Beschäftigten ungleich gewichtet. Bei der Bemessung des Alg sei für den Zeitraum vom 01.06.2014 bis 31.12.2014 somit ein monatliches Bemessungsentgelt in Höhe der monatlichen Bezugsgröße von 2.765 € (= 19.355,07 €) und für den Zeitraum vom 01.01.2015 bis 31.05.2015 iHv monatlich 2.835 € (= 14.175 €), mithin insgesamt 33.530 €, zugrunde zu legen. Hieraus ergebe sich ein tägliches Bemessungsentgelt iHv 91,86 € (33.530 € : 365 Tage). Sie wende sich nicht gegen die Berechnung der Leistungsentgeltes aus dem Bemessungsentgelt, sondern dass sie als versicherungspflichtige Selbständige ihre Beiträge gemäß der monatlichen Bezugsgröße zu zahlen gehabt habe.

Mit Gerichtsbescheid vom 04.03.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Höhe des Alg sei zutreffend im Rahmen einer fiktiven Bemessung berechnet worden. Für den Anspruch auf Arbeitsentgelt im Bemessungsrahmen könnten nur Entgelte aus einer Beschäftigung, nicht aber aus sonstigen Versicherungspflichtverhältnissen herangezogen werden. Die Klägerin sei aber nicht abhängig beschäftigt gewesen. Die fiktive Bemessung begegne vorliegend auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Im Rahmen der Antragspflichtversicherung sei ein gesetzlich fixierter Betrag festgelegt worden, der einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der freiwilligen Arbeitslosenversicherung durch Personen mit überdurchschnittlichem Arbeitslosigkeitsrisiko und damit einer Quersubventionierung der auf Antrag Versicherten durch die kraft Gesetzes Pflichtversicherten vorbeuge. Es handele sich um eine gesetzliche Fiktion. Tatsächlich erzielte höhere oder niedrigere Einkünfte würden nicht zu einer freiwilligen "Höherversicherung" oder einer geringeren Absicherung berechtigen, da lediglich eine Mindestabsicherung des Versicherungsberechtigten vorgesehen sei. Es werde besonderen Schwierigkeiten während der unmittelbaren Startphase einer Existenzgründung Rechnung dadurch getragen, dass für das erste Jahr nur ein reduzierter Beitrag (50 % der monatlichen Bezugsgröße) anfalle. Auch sei eine Übergangsregelung geschaffen worden, mit der zur Vermeidung unbilliger Härten für das Jahr 2011 nur ein abgesenkter Beitrag in Form von 50 % der monatlichen Bezugsgröße angefalle...

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