Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung nach § 73 b Abs. 4 Satz 1 SGB V
Leitsatz (amtlich)
Der für den Bezirk der KV Bayern durch Schiedsspruch am 13.02.2012 festgesetzte Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung nach § 73 b Abs. 4 Satz 1 SGB V verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 16.07.2017 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen den Schiedsspruch vom 13.02.2012 zur Festlegung des Vertragsinhaltes eines Vertrages zur hausarztzentrierten Versorgung gemäß § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V.
Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse, der Beklagte ein Zusammenschluss von hausärztlich tätigen Ärzten in Bayern.
Die Beteiligten haben am 12.02.2009 einen Vertrag zur Durchführung einer hausarztzentrierten Versorgung gemäß § 73b SGB V geschlossen, geändert durch Änderungsvereinbarung vom 03.09.2009, der zum 01.04.2009 zu laufen begann ("HzV-Altvertrag").
Am 26.09.2009 hat die Klägerin mit der BVKJ-Service GmbH, einer Gesellschaft des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), einen "Vertrag zur Durchführung einer pädiatriezentrierten Versorgung" gemäß § 73b SGB V abgeschlossen ("PzV-Vertrag"), der am 06.12.2011 mit Wirkung zum 01.01.2012 geändert wurde.
Nachdem der frühere Vorstand des Beklagten Ende 2010 alle Hausärzte Bayerns zum Systemausstieg aufgerufen hatte, kündigte die Klägerin den HzV-Altvertrag mit Wirkung zum 31.12.2010. Einstweilige Rechtsschutzanträge des Beklagten zur Fortführung des HzV-Altvertrages blieben erfolglos.
Anschließende Gespräche in Form von mindestens 15 "Verhandlungs-" bzw. "Gesprächsrunden" der Beteiligten zwischen Januar und Juli 2011 zur Fortsetzung bzw. zum Neuabschluss eines Vertrages zur Durchführung einer hausarztzentrierten Versorgung brachten keine Ergebnisse. Der Beklagte erklärte mit Schreiben vom 05.08.2011 die Verhandlungen für gescheitert und beantragte die Einleitung eines Schiedsverfahrens nach § 73b Abs. 4a Satz 1 SGB V. Die Beteiligten konnten keine Einigung über eine Schiedsperson erreichen. Das BayStMUG bestimmte daraufhin mit Bescheid vom 22.09.2011 Herrn Dr. E. als Schiedsperson in den Vertragsverhandlungen zwischen den Beteiligten.
Im Rahmen des Schiedsverfahrens nahmen die Beteiligten ausführlich Stellung.
Mit Schiedsvertrag vom 13.02.2012 setzte die Schiedsperson aufgrund der mündlichen Verhandlungen vom 11.01.2012, 24.01.2012 und 31.01.2012 den Vertragsinhalt des Vertrages zur hausarztzentrierten Versorgung gemäß § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V fest ("HzV-Vertrag"). Der HzV-Vertrag trat am 15.02.2012 in Kraft und wurde zum 01.07.2012 finanzwirksam. Der Inhalt eines Vertrages zur HzV sei nach billigem Ermessen festzu-setzen gewesen. Der HzV-Vertrag sei in Anwendung des § 73b SGB V in der bis zum 21.09.2010 geltenden Fassung festzusetzen gewesen, da es sich um einen Anschlussvertrag, mithin nicht um einen "Neuvertrag" handle. Die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grunde des HzV-Altvertrages durch die Klägerin zum 31.12.2010 stehe der Wertung als Anschlussvertrag nicht entgegen. Der Begriff der Anschlussvereinbarung in § 73b Abs. 5a Satz 5 SGB V sei nicht in dem Sinne zu verstehen, dass ein neuer HzV-Vertrag an den früheren HzV-Vertrag in zeitlicher Hinsicht anknüpfen müsse. Der Begriff der Anschlussvereinbarung sei im Sinne einer Folgevereinbarung zu verstehen. Dies entspreche auch der gesetzlichen Intention, den vor dem 21.09.2010 geschlossenen Verträgen und den Verträgen, die nach einer Kündigung des Vertrages diesen gefolgt seien, einen Bestandsschutz bis zum 30.06.2014 einzuräumen, um danach die Wirksamkeit dieser Verträge evaluieren zu lassen. Die Schiedsperson habe den HzV-Vertrag gemäß § 73 Abs. 4 Satz 1 SGB V, § 96 Abs. 1 Satz 3 SGB V i. V. m. der entsprechenden Anwendung von § 317 Abs. 1 Satz 1 BGB in Wahrnehmung des ihr zustehenden "billigen Ermessens" festgesetzt. Die Schiedsperson hat den HzV-Vertrag in Ausübung des billigen Ermessens als sogenannten Vollversorgungs- oder Bereinigungsvertrag und nicht als sogenannten Add-on-Vertrag festgelegt. Der Vollversorgungsvertrag eröffne den Krankenkassen und den Hausarztgemeinschaften die Möglichkeit, strukturelle Verbesserungen in der Leistungserbringung für die Versicherten vorzunehmen. Die Add-on-Verträge böten demgegenüber regelmäßig nur punktuelle Ansätze bei Leistungsverbesserungen, könnten damit solche strukturellen Verbesserungen nicht gewährleisten. Die Schiedsperson hat auch berücksichtigt, dass auch für andere KÄV-Bezirke zuständige Schiedspersonen den Vertragsinhalt von HzV-Verträgen als Vollversorgungsverträge festgelegt hätten und dass im KÄV-Bezirk Bayern sowohl eine große Ersatzkasse als auch zahlreiche Betriebskrankenkassen auf freiwilliger Basis im Wege von Anschlussvereinbarungen Vollversorgungsverträge mit dem Beklagten abgeschlossen hätten und nicht ...