Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Genehmigungsfiktion. inkomplette Tetraparese. Teilnahme am Trainingsprogramm "Project Walk" in den USA. Maßnahme der medizinischen Rehabilitation. Kostenübernahme bei Auslandsbehandlung. kein erhebliches Versorgungsdefizit. keine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung. grundrechtsorientierte Auslegung. kein Anspruch
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage der Anwendbarkeit der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a SGB V bei der "Project Walk" Trainingsmethode
2. Ein erhebliches Versorgungsdefizit bei der Versorgung von Patienten mit Querschnittslähmung liegt in Deutschland vor allem im Hinblick auf die bestehenden Querschnittszentren nicht vor.
3. Die Behandlungsmethode "Project Walk" hat derzeit noch nicht den Status erreicht, dass sie von der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute befürwortet wird.
4. Zur grundrechtsorientierten Auslegung des § 18 Abs 1 SGB V nach einer eingetretenen inkompletten Tetraparese.
Orientierungssatz
1. Bei der "Project Walk"-Trainingsmethode handelt es sich um eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation, welche nach § 13 Abs 3a S 9 SGB 5 vom sachlichen Anwendungsbereich der Genehmigungsfiktion nicht erfasst wird (vgl BSG vom 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R = BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33).
2. Da in Deutschland für eine bereits eingetretene inkomplette Tetraparese unterhalb C4, bei der die Kopf- und Augenkontrolle sowie die Sprachmotorik nicht regelmäßig erschwert ist, eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung steht, besteht auch nach grundrechtsorientierter Auslegung des § 18 Abs 1 SGB 5 kein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Teilnahme am Trainingsprogramm "Project Walk" in den USA.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 12. Oktober 2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Erstattung der im Zeitraum 27.02.2014 bis 31.05.2015 angefallenen Kosten für die Teilnahme am Trainingsprogramm "Project Walk" in C., USA, nebst weiteren in diesem Zusammenhang angefallenen Kosten.
Die 1991 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse versichert. Im Januar 2006 war sie bei einem Reitunfall verunglückt und hatte dabei eine Trümmerfraktur des 4. und 5. Halswirbelkörpers erlitten. Seither ist sie querschnittsgelähmt (inkomplette Tetraparese unterhalb C4).
Am 12.03.2014 beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten für ein Training im Rahmen des "Project Walk" in C., USA. Seit dem 27.02.2014 sei sie wieder in den USA. Beigefügt war eine ärztliche Bescheinigung des Arztes für Naturheilverfahren P. W. vom 11.03.2014, in der mitgeteilt wird, dass die Klägerin bereits vom 23.11.2013 bis 23.12.2013 auf eigene Kosten im Trainingszentrum "Project Walk" gewesen sei, wo sie bis zu fünf Stunden täglich an Therapie-Programmen teilgenommen und signifikante Fortschritte erzielt habe.
Vorgelegt wurde eine Kostenaufstellung für die Monate März bis Oktober 2014, in der die voraussichtlichen Therapiekosten mit monatlich 5.201,09 € (62,25 h à 79,71 €) veranschlagt werden. Ferner werden u. a. Kosten für die angemietete Wohnung (1.750 €), Unterstützung (2.000 €), Auto (1.000 €), und Flüge (Kosten variieren) aufgeführt.
Die Beklagte erklärte sich mit Bescheid vom 14.04.2014 bereit, im Rahmen einer Einzelfallentscheidung und ohne präjudizierende Wirkung für künftige Anfragen sich im angegebenen Zeitraum vom 01.03.2014 bis 31.10.2014 an den Kosten der im Trainingsprogramm "Project Walk" stattfindenden Therapie mit monatlich 800 € zu beteiligen.
Der hiergegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29.08.2014). In Deutschland stünden adäquate Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Zudem habe die Klägerin mit der Therapie in den USA schon vor Antragsstellung begonnen, so dass die Krankenkasse keine Möglichkeit gehabt habe, im Vorfeld beratend tätig zu werden und ggf. Alternativen aufzuzeigen.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht München hat die Klägerin vorgetragen, dass es in Deutschland keine geeigneten Trainingszentren gebe. Von Reha-Einrichtungen in Deutschland und EU-weit habe sie immer die Antwort erhalten, bei einem so hohen Querschnitt könne man nichts machen. "Project Walk" sei eine weltweit einzigartige Therapieeinrichtung, die ein individuelles Trainingsprogramm mit hochintensivem Training anbiete. Sie habe damit Erfolge erzielt, die sie in Deutschland nicht hätte erzielen können.
Ihr Bevollmächtigter hat eine Kostenaufstellung für den Zeitraum März 2014 bis Februar 2015 vorgelegt über einen Gesamtbetrag von 106.845 €, der sich aus den Behandlungskosten für "Project Walk" (48.650 €), Mietkosten (21.000 €), Betreuungskosten (18.000 €), Kosten für Flüge und Mietwagen (16.855 €), Mietkosten fü...