Entscheidungsstichwort (Thema)

Urteil ohne mündliche Verhandlung, rechtliches Gehör, Zurückverweisung. Gerichtsbescheid. Wesentlicher Verfahrensfehler

 

Leitsatz (amtlich)

Gem. § 124 Abs 2 SGG darf ein Urteil ohne mündliche Verhandlung nur dann ergehen, wenn die Beteiligten ausdrücklich zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im Sinne des § 124 Abs 2 SGG vom Gericht angehört wurden und hierzu von ihnen auch ausdrücklich ein Einverständnis mit dieser Entscheidung erklärt wurde. Ein erklärtes Einverständnis mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG ist ebenso wenig ausreichend wie ein stillschweigendes Einvernehmen.

 

Normenkette

SGG § 124 Abs. 2, §§ 105, 159 Abs. 1 Nr. 2; SGB VI § 43

 

Tenor

I. Das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 28.11.2012 wird aufgehoben. Die Streitsache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Nürnberg zurückverwiesen.

II. Das Sozialgericht hat auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund des Rentenantrags vom 01.04.2009 hat.

Der 1955 geborene Kläger war im Jahr 1988 in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt und hat hier Tätigkeiten als Lagerarbeiter, Hausmeister und Verpacker ausgeübt. Am 01.04.2009 stellte er (zum wiederholten Male) einen Antrag auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente, den die Beklagte nach Einholung eines chirurgischen Gutachtens von Dr. von G. vom 05.06.2009 sowie eines neurologisch/psychiatrischen Gutachtens von Dr. H. vom 06.07.2009 mit streitgegenständlichem Bescheid vom 21.07.2009 ablehnte. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.2010 als unbegründet zurückgewiesen.

Das Sozialgericht (SG) Nürnberg hat nach Beiziehung ärztlicher Befundberichte ein orthopädisches Gutachten von Dr.M. eingeholt, der am 06.08.2010 noch zu einem mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen gelangt ist. Ein nervenärztliches Gutachten von Dr. W. vom 17.10.2010 kam ebenfalls zu einem mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen des Klägers für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz -SGG- wurde sodann ein orthopädisches Gutachten von Dr. S. eingeholt, der am 22.03.2011 ebenfalls zu einem mindestens 6-stündigen Leistungsvermögen gelangte. Nach Einholung weiterer Befundberichte wurde auf weiteren Antrag des Klägers nach § 109 SGG ein neurologisch/psychiatrisches Gutachten von Prof. Dr. S. sowie ein psychologisches Zusatzgutachten von Dr.Sch. eingeholt, die insgesamt zu einem Leistungsvermögen des Klägers von drei bis unter sechs Stunden gelangt sind. Gegenüber den bisher eingeholten Gutachten sei auf Grund der affektiven Bewertung eine deutliche Chronifizierung im Sinne einer mittelgradigen depressiven Episode bei persistierender Somatisierungsstörung zu konstatieren.

Aufgrund einer prüfärztlichen Stellungnahme von Dr. Sch. vom 25.01.2012 hat das SG nochmals umfangreiche Befunde des behandelnden Orthopäden Dr. U. beigezogen und nach weiteren unterschiedlichen Stellungnahmen von Klägervertreter und Beklagter eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. S. vom 27.08.2012 eingeholt, in der dieser bei seinem gefundenen Ergebnis verblieben ist.

Mit Schriftsatz vom 10.10.2012 nahm der Prozessbevollmächtigte des Klägers zum Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. S. dahingehend Stellung, dass nunmehr an der Erwerbsminderung des Klägers wohl kein Zweifel mehr bestehen könne und ihm Rente zu gewähren sei. Er sei ausdrücklich mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden. Die Vorsitzende der 18. Kammer des SG hat mit gerichtlichem Schreiben vom 17.10.2012 der Beklagten eine Abschrift dieses Schriftsatzes übersandt und darauf hingewiesen, dass sie die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG nicht als gegeben ansehe, aber bereit sei, ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs 2 SGG zu entscheiden, sofern ein entsprechendes Einverständnis erklärt werde. Die Beklagte hat darauf hin mit Schreiben vom 23.10.2012 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs 2 SGG erklärt.

Das SG hat sodann mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 28.11.2012 die Klage gegen den Bescheid vom 21.07.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.01.2010 als unbegründet abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente. Den Gutachten von Prof. Dr. S. und Dr. Sch. werde nicht gefolgt. Allein die von Prof. Dr. S. gefundene abweichende Diagnose reiche nicht aus, um zu einer quantitativen Leistungseinschränkung zu gelangen. Es fehle an einer objektivierten und nachvollziehbaren Darstellung des Leistungsfalls.

Zur Begründung der hiergegen am 21.02.2013...

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