Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Anfechtung eines Prozessvergleichs. Urteilsberichtigung bei offenbaren Unrichtigkeiten durch das Berufungsgericht. Prozessunfähigkeit nach dem Recht des Heimatstaats (hier: Kroatien). fingierte Prozessfähigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen einer Anfechtung eines Prozessvergleichs.

 

Orientierungssatz

1. Das Berufungsgericht ist in entsprechender Anwendung des § 138 SGG berechtigt, offenbare Unrichtigkeiten in einem angefochtenen Urteil im Rahmen seiner Entscheidung über das Rechtsmittel zu berichtigen (vgl BSG vom 14.2.1978 - 7/12 RAr 73/76 = BSGE 46, 34 = SozR 1500 § 138 Nr 3). Einer vorherigen Anhörung der Beteiligten bedarf es nicht, wenn es sich um eine reine Formalie handelt und die Rechte der Beteiligten nicht beeinträchtigt werden können.

2. Besteht nach dem Heimatrecht des Klägers Prozessunfähigkeit (hier: Kroatien), wird Prozessfähigkeit gem § 71 Abs 6 SGG iVm § 55 ZPO fingiert, soweit der Kläger nach dem deutschem Recht des Prozessgerichts prozessfähig ist.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 20. August 2008 wird mit der Maßgabe der Feststellung zurückgewiesen, dass der Rechtsstreit S 2 R 1351/05 A durch den Vergleich vom 27. Juni 2007 beendet wurde.

II. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Rechtsstreit beim Sozialgericht Landshut (SG) mit dem Az. S 2 R 1351/05 A durch den am 27. Juni 2007 vor dem SG geschlossenen Vergleich beendet wurde.

Der 1948 geborene Kläger, kroatischer Staatsangehöriger, hat keinen Beruf erlernt. Er war zunächst von März 1964 bis Dezember 1970 in Kroatien u.a. als Arbeiter in der Holzindustrie, Bauarbeiter/Hilfsarbeiter tätig. Nach seinem Zuzug in das Bundesgebiet war er von Juli 1971 bis Juni 1984 als Metallarbeiter und Schweißer versicherungspflichtig beschäftigt. Im Anschluss an seine Rückkehr nach Kroatien war er von August 1985 bis Dezember 1997 als Lagerarbeiter beschäftigt.

Der Kläger begehrte mit Antrag vom 5. Juni 2000 die Gewährung von Rente wegen Erwerbs-/Berufsunfähigkeit von der Beklagten. Die Beklagte holte diverse Befundberichte aus Kroatien sowie ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. R. vom 20. Mai 2003 ein, die dem Kläger noch ein Leistungsvermögen von 6 Stunden und mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bescheinigte. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. Januar 2005 den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ab. Beim Kläger liege weder teilweise noch volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vor. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde nach Beiziehung weiterer Befundberichte mit Widerspruchsbescheid vom 9. August 2005 zurückgewiesen.

Zur Begründung der hiergegen erhobenen Klage zum SG verwies der Kläger insbesondere darauf, die Begutachtung durch die kroatische Invalidenkommission in Z. habe volle Erwerbsminderung bestätigt. Er legte mit Schreiben vom 27. März 2007 eine Bescheinigung der kroatischen Anstalt für Arbeitsbeschaffung vor, wonach der Kläger seit 16. Dezember 1997 und weiterhin in der Evidenz der Arbeitslosen geführt werde. In der Bescheinigung werden vom Kläger bezogene Geldleistungen für die Jahre 2004 und 2005 aufgeführt.

Das SG Landshut erhob Beweis durch Einholung eines psychiatrischen Gutachtens von Dr. B. und eines sozialmedizinischen Gutachtens von Dr. T. jeweils vom 25. Juni 2007. Dr. B. stellte beim Kläger ein organisches Psychosyndrom, eine Angst- und depressive Störung, gemischt, HWS- und LWS-abhängige Beschwerden ohne neurologische Funktionsausfälle, einen Diabetes mellitus sowie eine arterielle Hypertonie fest. Der Kläger könne seit Rentenantragstellung noch leichte Arbeiten ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, besonderen Zeitdruck, Nacht- und Wechselschicht, schweres Heben und Tragen von Lasten sowie ohne Zwangshaltungen vollschichtig verrichten. Mit Zunahme der psychischen Gesundheitsstörungen sei das Leistungsvermögen des Klägers allmählich abgesunken. Seit spätestens Januar 2007 könne der Kläger täglich nur mehr weniger als 3 Stunden arbeiten. Auch Dr. T. attestiert dem Kläger ab Januar 2007 nur noch ein Leistungsvermögen von weniger als 3 Stunden.

In der anschließenden mündlichen Verhandlung vor dem SG am 27. Juni 2007 schlossen die Beteiligten nach Erörterung der Sach- und Rechtslage folgenden Vergleich:

I. Die Beklagte erklärt sich bereit, bei dem Kläger den Eintritt der vollen Erwerbsminderung im Januar 2007 anzuerkennen.

II. Rente wegen voller Erwerbsminderung wird ab 1. Februar 2007 geleistet, soweit der Kläger der Beklagten eine Bescheinigung des Arbeitsamtes vorlegt, aus der ersichtlich ist, dass der Kläger ab 1. Januar 1998 Leistungen vom Arbeitsamt bezieht.

III. Die Beteiligten gehen davon aus, dass damit der Rechtsstreit in vollem Umfang erledigt ist.

Dieser Vergleich wurde ausweislich der Niederschrift vorgelesen, v...

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