Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzgeldanspruch. Arbeitnehmereigenschaft. ein im Handelsregister als allein vertretungsberechtigt eingetragenes Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft. formale organschaftliche Stellung nicht entscheidend. Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse. Außenverhältnis. Weisungsgebundenheit. versicherungsfreie Beschäftigung
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Prüfung der Arbeitnehmereigenschaft iS des § 183 Abs 1 S 1 SGB III aF (nunmehr § 165 Abs 1 S 1 SGB III nF) ist im Wesentlichen von den tatsächlichen Verhältnissen auszugehen, also darauf abzustellen, wie das (arbeitsvertraglich) Vereinbarte tatsächlich im Arbeitsalltag umgesetzt worden ist. Die formale organschaftliche Stellung eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft gemäß nach § 76 Abs 1 des Aktiengesetzes (juris: AktG) hat insoweit nur untergeordnete Bedeutung.
2. Einem (allein vertretungsberechtigten) Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft, der für diese als Vertriebsleiter mit arbeitsvertraglicher Vereinbarung gegen Arbeitsentgelt tätig ist, steht der für einen Anspruch auf Insolvenzgeld erforderlichen Arbeitnehmereigenschaft die Versicherungsfreiheit von Vorstandsmitgliedern nach § 27 Abs 1 Nr 5 SGB III grundsätzlich nicht entgegen.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 11. Mai 2016 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger im Zeitraum 01.07.2011 bis 30.09.2011 Anspruch auf Insolvenzgeld auf der Grundlage eines entgangenen Gehaltsanspruchs als Arbeitnehmer gegenüber der Y. AG (im Folgenden Y. AG) hat.
Der 1955 geborene Kläger war vom 01.07.2011 bis zum 30.09.2011 bei der Y. AG tätig. Im Arbeitsvertrag vom 20.05.2011 wurde seine Funktion als "Stellvertretung Geschäftsleitung" bezeichnet. …
Am 20.06.2011 beantragte der Kläger beim Notar P. A. (unter Vorlage des Protokolls einer Aufsichtsratssitzung der Y. AG) seine Eintragung als einzelvertretungsberechtigter Vorstand in das Handelsregister. Diese erfolgte am 27.06.2011.
Mit Schreiben vom 14.09.2011 kündigte die Y. AG, vertreten durch Herrn S. K., das Arbeitsverhältnis zum 30.09.2011.
Am 22.09.2011 wurde das Ausscheiden des Klägers als Vorstand der AG (und als dessen Nachfolger Herr K. L.) in das Handelsregister eingetragen.
Nach eigenen Angaben arbeitete der Kläger im Wesentlichen als Vertriebsleiter.
Nach der vorliegenden - korrigierten - Gehaltsabrechnung für Juli 2011 wurde für den Kläger Lohnsteuer abgeführt, ferner wurden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, jedoch keine Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung entrichtet.
In einem Verfahren vor dem Arbeitsgericht München (Az. 24 Ca 1405/11) über den Entgeltanspruch des Klägers für die die Monate Juli bis September 2011 schlossen der Kläger und die Y. AG am 29.02.2012 einen gerichtlichen Vergleich.
Die Y. AG verpflichtete sich, an den Kläger 10.922,25 € netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2011 zu zahlen.
Damit sollten alle "finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung" abgegolten sein.
Der Schriftsatz des dortigen Klägerbevollmächtigten vom 24.10.2011 zur Begründung der Forderung des Klägers beginnt mit den Worten "Der Kläger war bei der Beklagten beschäftigt...." - dieses Vorbringen wurde vom Vertreter der Y. AG nicht bestritten.
Da die ehemalige Arbeitgeberin ihren Verpflichtungen aus dem Vergleich nicht in vollem Umfang nachkam, stellte der Kläger am 17.10.2012 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Y. AG.
Mit Beschluss des Amtsgerichts (AG) Regensburg vom 19.12.2012 wurde die vorläufige Insolvenzverwaltung über das Vermögen der Y. AG angeordnet, mit Beschluss des AG Regensburg vom 19.03.2013 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet (AZ. 2 IN 665/12).
Am 20.10.2012 und am 17.01.2013 stellte der Kläger bei der Agentur für Arbeit Regensburg Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld. Er gab dabei an, bei der Y. AG als Vertriebsleiter für 4.500 € brutto beschäftigt gewesen zu seien und ab dem Juli 2011 kein Gehalt mehr erhalten zu haben.
Mit Bescheid vom 02.04.2013 gewährte die Beklagte dem Kläger einen Vorschuss auf das zu erwartende Insolvenzgeld in Höhe von 3.800 €.
Laut der vorliegenden Insolvenzgeldbescheinigung des Insolvenzverwalters vom 29.05.2013 setzte sich der Entgeltanspruch des Klägers zuletzt aus 3.000 € Bruttoentgelt, einem Fahrtkostenzuschuss in Höhe von 355 € sowie einem Reisekostenzuschuss in Höhe von 1.145 € monatlich zusammen.
Der Kläger habe noch einen Anspruch auf nicht ausbezahltes Netto-Arbeitsentgelt für August 2011 in Höhe von 1.681,50 € und für September 2011 in Höhe von 3.640,75 € (insgesamt 5.322,25 €).
Mit Schreiben vom 03.06.2013 teilte der Insolvenzverwalter der Beklagten mit, dass der Kläger vom...