Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftlichkeitsprüfung. Rechtmäßigkeit eines Arzneimittelregresses bei der inhalativen Verabreichung von Proleukin

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Arzneikostenregress wegen wirtschaftlicher Verordnungsweise ist bei der inhalativen Verabreichung von Proleukin rechtmäßig, da die Voraussetzungen für einen "off-label-use" zu Lasten der GKV gemäß der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG nicht vorliegen.

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten und der Beigeladenen zu 2) wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 6. Dezember 2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist ein Arzneikostenregress wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen (Proleukin) im Quartal 4/2001.

Die Kläger verordneten zulasten der AOK Bayern für den Patienten J. P., geboren 1921, Proleukin als Inhalations-Lösung. Nach der Aufstellung betrugen die Kosten 44.120,20 €. Der Patient litt an einem Nierenzellkarzinom mit Metastasen in der Lunge.

Für das Quartal 4/2001 ging ein Prüfantrag vom 20.9.2002 namens der AOK Bayern beim zuständigen Prüfungsausschuss am 27.9.2002 ein bezüglich der inhalativen Anwendung von Proleukin. Zu diesem Prüfantrag gab der Kläger am 9.12.2002 eine Stellungnahme ab, in der er insbesondere auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 19.3.2002 zum off-label-use hinwies. Er legte entsprechende Veröffentlichungen der Universitätsklinik Hamburg vor, um zu belegen, dass die inhalative Anwendung von Proleukin Standardtherapie sei, ferner die entsprechende Leitlinie Nierenzellkarzinom der Deutschen Krebsgesellschaft und die Expertenempfehlung Interleukin 2 vom Oktober 2001.

In der Sitzung am 23.6.2004 beschloss der Prüfungsausschuss einen Regress in Höhe von 44.120,20 € (Bescheid vom 7.10.2004). Gegen diese Entscheidung legten die Kläger Widerspruch ein. Sie übersandten eine Entscheidung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 30.6.2003 vor, mit dem Proleukin zur Inhalation als Arzneimittel für seltene Leiden (orphan drug) ausgewiesen wurde. In der Sitzung des Beklagten am 6.4.2005 wurde der Widerspruch der Ärzte bezüglich der inhalativen Anwendung von Proleukin zurückgewiesen und der Regress auf 42.623,38 € festgesetzt. An der Sitzung nahm als Vertreter der Krankenkassen der Mitarbeiter der AOK Bayern A. teil. Diese Entscheidung wurde im Bescheid vom 17.8.2005 umgesetzt. Die rechtliche Zulassung von Proleukin beschränke sich beim Nierenzellkarzinom auf die intravenöse Infusion und seit 24.9.2001 auf die subkutane Infusion. Nach § 29 Abs. 3 Arzneimittelgesetz (AMG) sei bei zugelassenen Arzneimitteln bei einer Änderung der Darreichungsform eine erneute Zulassung zu beantragen. Die inhalative Anwendung sei mit der intravenösen oder subkutanen nicht vergleichbar und deshalb von der Arzneimittelzulassung nicht umfasst. Bei den Verordnungen von Proleukin zur inhalativen Anwendung handle es sich um einen so genannten off-label-use. Die Voraussetzungen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts lägen nicht vor. Zwar sei das Nierenzellkarzinom zweifelsfrei eine schwerwiegende, lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung. Jedoch stünden andere und zudem zugelassene Therapieformen zur Verfügung. Außerdem sei die Datenlage nicht so, dass eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg bestehe.

Gegen diesen Bescheid legten die Kläger am 15.9.2005 Klage zum Sozialgericht München (SG) ein. Zur Begründung führten sie im Schriftsatz vom 27.9.2006 aus, der AOK-Mitarbeiter A. hätte nicht am Verwaltungsverfahren beteiligt sein dürfen. Die Kläger wiesen ferner auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum off-label-use und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6.12.2005 zu lebensbedrohenden Erkrankungen hin. Im Übrigen seien Modifikationen der Applikationsform zulassungsrechtlich irrelevant. Sie legten ein Urteil des Sozialgerichts Dresden sowie ein weiteres des Sozialgerichts Magdeburg vor, die jeweils den inhalativen Gebrauch von Proleukin bestätigt hatten, ferner ein Manual des Tumorzentrums München. Ebenfalls vorgelegt wurde eine gutachtliche Stellungnahme der Universität Hamburg, Professor Dr. H.. Der Beklagte übersandte einen Abschlussbericht der off-label-use-Expertengruppe vom Juli 2005, nach dem eine inhalative Anwendung von Proleukin derzeit nicht gerechtfertigt sei, sowie eine Kopie der Änderung der Richtlinien des Bundesausschusses vom 18.4.2006 zur Umsetzung des Abschlussberichts.

In der mündlichen Verhandlung am 28.9.2006 führte die Vertreterin der Beigeladenen zu 2 aus, dass das Arzneimittel Proleukin nicht in inhalativer Form vorliege und durch eine individuelle Apothekerrezeptur zubereitet werden müsse. Dies sei von der Zulassung nicht erfasst. Die Ergebnisse der Expertengruppe hätten ergeben, dass die inhalative Anwendung von Proleukin derzeit nicht zu empfehlen sei. Proleukin sei inhalativ zur Therapie des Nieren...

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