Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Rentenversicherung: Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bei einem sechsstündigen Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erwerbsminderungsrente.

 

Orientierungssatz

1. Trotz eines Leistungsvermögens von 6 Stunden und mehr für leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung dann gegeben, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt und dem Versicherungsnehmer keine Tätigkeit benannt werden kann, die er trotz der qualitativen Leistungseinschränkungen noch mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann.

2. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung meint die Fälle, in denen bereits eine einzige schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Die "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" trägt dem Umstand Rechnung, dass auch eine Vielzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können.

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 9. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1962 geborene Klägerin hat von 1979 bis 1983 eine Lehre zur Zahnarzthelferin absolviert und war im Anschluss daran mit Unterbrechungen bis 2006 im erlernten Beruf tätig, seit 2004 halbtags neben einer selbstständigen Tätigkeit als Gastronomin (Eisdiele). Seit 30. März 2006 ist die Klägerin arbeitsunfähig bzw. arbeitslos.

Die Klägerin nahm vom 10. Oktober 2006 bis 6. November 2006 an einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation auf orthopädischer Grundlage teil, aus der sie vollschichtig leistungsfähig für mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen wurde. Mit Antrag vom 12. Juli 2007 begehrte sie Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten. Zur Begründung verwies sie auf Arthrose, einen Bandscheibenvorfall sowie ein chronisches Schmerzsyndrom.

Die Beklagte holte nach Beiziehung diverser Befundberichte ein orthopädisch-rheuma-tologisches Gutachten von Dr. N. ein. Die Sachverständige stellte bei der Klägerin eine leichte thorakolumbale Skoliose, eine MR-tomographisch diagnostizierte linksbetonte Spondylarthrose L 4/5 und L 5/S 1, eine beginnende Coxarthrose beidseits (asymptomatisch) sowie ein chronisches Schmerzsyndrom/Verdacht auf psychosomatisches Schmerzsyndrom fest. Nach ihren Ausführungen sei die Intensität der Beschwerdeangabe mit dem objektivierbaren Befund nicht vereinbar. Neurologische Defizite der unteren Extremitäten bestünden nicht. Die Klägerin sei für leichte und mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig einsetzbar.

Der weiterhin beauftragte Neurologe und Psychiater Dr. S. diagnostizierte bei der Klägerin eine Kiefergelenksaffektion links, ein Schmerzsyndrom mit LWS-Betonung sowie einen Verdacht auf psychische Überlagerung bzw. Schmerzverstärkung. Die Klägerin könne noch leichte bis mittelschwere Arbeiten im Wechselrhythmus oder ständig im Sitzen 6 Stunden und mehr täglich verrichten.

Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag mit angefochtenem Bescheid vom 23. November 2007 ab. Zugleich wurden der Klägerin Leistungen zur medizinischen Rehabilitation angeboten.

Die Klägerin nahm das Angebot der Beklagten an und erhob zugleich Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid. Die Reha-Maßnahme fand vom 22. Januar bis 26. Februar 2008 in der Klinik S. statt. Hier wurden eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie rezidivierende Lumbalgien bei bekannten Protrusionen i.B. der LWS festgestellt und der Klägerin noch ein Leistungsvermögen von 6 Stunden und mehr für leichte bis mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bescheinigt.

Der Widerspruch wurde daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 2. September 2008 zurückgewiesen.

Mit der hiergegen zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Die Erwerbsfähigkeit der Klägerin werde durch ein chronisches Schmerzsyndrom mit Verdacht auf Konversionsschmerz sowie durch ein LWS-Syndrom bei linksbetonter Spondylarthrose L 4/5 und L 5/S 1 und eine beginnende Coxarthrose beidseits eingeschränkt. Auch eine reaktive Depression bzw. eine somatoforme Schmerzstörungskomponente kämen als Ursachen der therapieresistenten Beschwerden in Betracht.

Das SG hat Befundberichte des Allgemeinmediziners Dr. E. und des Orthopäden Dr. F. sowie ein für die IKK direkt erstelltes sozialmedizinisches Gutachten vom 10. Mai 2007 beigezogen. Es hat zunächst gemäß § 106 SGG Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens von Dr. N. vom 28. März 2009 und eines Gutachten des Neurologen und Psychia...

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