Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinterbliebenenrentenanspruch: Widerlegung der gesetzlichen Vermutung einer Versorgungsehe bei Kenntnis einer lebensbedrohlichen Krankheit zum Zeitpunkt der Eheschließung
Leitsatz (amtlich)
1. Bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten ist in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a Halbs. 2 SGB VI nicht erfüllt. Doch ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet - überwiegend oder zumindest gleichwertig - aus anderen als Versorgungsgründen geheiratet wurde.
2. Zu dem einer Versorgungsehe möglicherweise entgegenstehenden Umstand der Übernahme der Pflege des Versicherten.
Orientierungssatz
1. Überlegungen zur Eingehung der Ehe im Zusammenhang mit der Sicherstellung der Pflege sind regelmäßig dann von vornherein nicht angebracht, wenn die verbleibende Lebenserwartung keine längere Pflegedauer erwarten lässt.
2. Eine sogenannte Pflegeehe verlangt als Motiv die Erwartung eines Versicherten, der fremder Hilfe bedarf, mit der Heirat seine Pflege sicherzustellen.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 28.04.2015 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf Witwenrente aus der Versicherung des 1963 geborenen und am 05.06.2014 verstorbenen M. P. hat.
Nach Angaben der 1972 geborenen Klägerin lebten der Versicherte und sie seit 1994 in einer gemeinsamen Wohnung in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Beim Versicherten wurde im Januar 2011 ein Harnblasentumor diagnostiziert und zunächst erfolgreich behandelt. Nach einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme im Mai 2011 wurde der Versicherte wieder in das Arbeitsleben eingegliedert und nahm ab Mitte Oktober 2011 seine frühere berufliche Tätigkeit als Qualitätsprüfer wieder in Vollzeit auf. Ab dem Frühjahr 2012 traten Komplikationen in Form von Harnstoffstauungen auf, die weitere Behandlungen erforderlich machten. Dabei wurde in einem CT-Befund vom 08.03.2013 ein Tumorrezidiv festgestellt, das schon benachbarte Regionen ergriffen hatte. Zwei nachfolgende Chemotherapiezyklen wurden bereits als palliative Behandlung eingestuft. Nach einem operativen Eingriff erfolgte bis zum 10.07.2013 eine Anschlussheilbehandlung in der S-Klinik Bad B.. Im dortigen Entlassungsbericht vom 05.08.2013 wurde festgestellt, dass bei deutlich infauster Prognose mittel- bis langfristig Tätigkeiten von wirtschaftlichem Wert nicht mehr möglich seien. Die Beklagte bewilligte dem Versicherten daraufhin rückwirkend - beginnend ab dem 01.06.2013 - Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgehend von einem am 18.01.2013 angenommenen Leistungsfall.
Wegen einer nicht passierbaren Duodenalstenose mit konsekutiver Magenentleerungsstörung bei Urothelkarzinom der Harnblase als Primärtumor und einem Rezidivtumor im Unter- und Mittelbauchbereich mit verbackenen Dünndarmschlingen erfolgte eine stationäre Behandlung vom 16.07.2013 bis zum 18.08.2013 im C.-Krankenhaus Bad M.. Auf eigenen Wunsch wurde der Versicherte am 18.08.2013 mit entsprechender parenteraler Ernährung in die häusliche Umgebung entlassen, wobei ein Termin zur stationären Wiederaufnahme für den 26.08.2013 vereinbart wurde.
Am 23.08.2013 schlossen der Versicherte und die Klägerin im Standesamt S-Stadt die Ehe.
Vom 26.08.2013 bis 03.09.2013 und vom 19.09.2013 bis 24.09.2013 erfolgten in stationärer Behandlung weitere Zyklen palliativer Chemotherapie. Stationäre Behandlungen erfolgten ferner vom 09.10.2013 bis 12.10.2013, vom 09.11.2013 bis 14.11.2013 und vom 08.05.2014 bis 19.05.2014.
Im September 2013 wurde beim Versicherten die Pflegestufe I festgestellt. Ein Antrag auf Höherstufung der Pflegestufe wurde nach Untersuchung des Versicherten durch den MDK am 28.05.2014 abgelehnt.
Am 05.06.2014 verstarb der Versicherte.
Nach unaufgeforderter Übersendung entsprechender Antragsformulare stellte die Klägerin bei der Beklagten am 30.06.2014 einen Antrag auf Hinterbliebenenrente, d.h. sog. kleine Witwenrente. Sie gab hierbei an, mit dem Versicherten am 23.08.2013 die Ehe eingegangen zu sein. Der Versicherte habe seit Juli 2013 im Rentenbezug wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gestanden, wobei der Antrag auf diese Rente am 19.09.2013 gestellt worden sei. Nachdem die Ehe bis zum Versterben des Versicherten nicht mindestens ein Jahr gedauert hatte, wurden im Antrag zusätzliche Angaben gemacht: Verneint wurde dabei, dass der Versicherte plötzlich und unvermutet gestorben sei. Verneint wurde ebenfalls, dass die tödlichen Folgen der Krankheit bei Eheschließung nach ärztlicher Auffassung nicht zu erwarten gewesen seien. Bejah...