Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerbsminderungsrente. Leistungsfall. Spielsucht. Persönlichkeitsstörung. medizinisches Gutachten nach Aktenlage
Leitsatz (amtlich)
Zur sozialmedizinischen Beurteilung des Leistungsvermögens eines Klägers, der unter einer pathologischen Spielsucht und einer schweren seelischen Abartigkeit leidet.
Orientierungssatz
Der Senat hält angesichts eines in der Vergangenheit liegenden Leistungsfalles, einer eindeutigen Befundlage und lückenlos dokumentierter Krankheitsgeschichte sowie einer eindeutig getroffenen ärztlichen Feststellung eine körperliche Untersuchung zur Beurteilung des Leistungsvermögens für nicht erforderlich.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 12.04.2007 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Erwerbsminderungsrente ab Oktober 2004 streitig.
Der 1964 geborene Kläger diente von 1983 bis 1988 als Zeitsoldat bei der Bundeswehr; hier kam es im Januar 1987 zu einer Wehrdienstbeschädigung durch eine Unterschenkelluxationsfraktur. Auf Grund der Wehrdienstbeschädigung bestand eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 30 v.H. bis zum 31.07.1987. Am 20.05.1988 wurde der Kläger unehrenhaft und vorzeitig aus der Bundeswehr entlassen, da er Ende Juli 1987 und Ende September 1987 Banküberfälle verübt hatte, um sich Kapital für die Befriedigung seiner Spielsucht zu verschaffen. Hierfür verbüßte er eine mehrjährige Haftstrafe bis 1992, wobei er in der Haftzeit eine Ausbildung zum Schreiner abschloss. Nach dem rechtskräftigen Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 13.05.1993 (Az: S 10 V 2/90 bzw. S 10 V 69/90) besteht kein Anspruch des Klägers auf Ausgleich nach § 85 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) sowie auf Versorgungsbezüge nach § 80 SVG. Von 1996 bis 2001 war der Kläger - teilweise selbstständig - als Berufskraftfahrer tätig. Im Juli 2003 verurteilte ihn das Landgericht S. wegen Betrugs und Computerbetrugs in 96 tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten; zudem wurde die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, da der Kläger an einer pathologischen Spielsucht leide und eine schwere seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 Strafgesetzgesetzbuch (StGB) vorliege. Der Kläger befindet sich nunmehr in der R.-Klinik für Forensische Medizin in M..
Am 06.10.2004 stellte der Kläger bei der Beklagten Antrag auf Erwerbsminderungsrente, den die Beklagte mit Bescheid vom 20.04.2005 ablehnte. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien nicht erfüllt, da beim Kläger in der Zeit vom 06.10.1999 bis 05.10.2004 nur ein Jahr und neun Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt seien. Den hiergegen eingelegten Widerspruch vom 05.05.2005 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2005 zurück. Die letzte versicherungspflichtige Tätigkeit habe am 10.06.2001 geendet. Somit seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen auch weiterhin nicht erfüllt.
Hiergegen hat der Kläger am 11.07.2005 Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Er sei auch über den 11.06.2001 versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Zudem sei er durch die Wehrdienstbeschädigung im Jahr 1987 in seiner Arbeitsfähigkeit erheblich eingeschränkt, sodass ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bestehe. Spätestens ab März 2003 lägen gesundheitliche Einschränkungen in rentenberechtigendem Ausmaß vor.
Auf Veranlassung des SG hat die Beklagte mit Schreiben vom 13.10.2006 mitgeteilt, dass der Kläger letztmals bei einem Leistungsfall im März 2003 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbminderungsrente erfülle. Nach Einholung ärztlicher Unterlagen hat das SG die Ärztin für Psychiatrie und Öffentliches Gesundheitswesen Dr. B. mit der Erstattung eines schriftlichen Gutachtens nach Aktenlage beauftragt, die in ihrem Gutachten vom 30.12.2006 zu dem Ergebnis gelangt ist, dass dem Kläger unter Berücksichtigung der genannten Gesundheitsstörungen täglich nur noch eine unter dreistündige Tätigkeit unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes möglich sei. Durch die schwere gemischte Persönlichkeitsstörung seien zentrale Anteile der Persönlichkeit, d.h. der Willens- und der Motivationsstruktur sowie die Stressresistenz wesentlich beeinträchtigt. Die quantitative Einschränkung der Erwerbsfähigkeit habe jedenfalls bereits im März 2003 vorgelegen. Die schwere Persönlichkeitsstörung sei schon seit den 80er Jahren dokumentiert und habe sich zunehmend verstärkt. Hierzu hat sich die Beklagte mit Schriftsatz vom 16.02.2007 unter Vorlage einer sozialmedizinischen Stellungnahme der Neurologin und Psychiaterin Dr. S. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten vom 14.02.2007 geäußert.
Mit Urteil vom 12.04.2007 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29...