Entscheidungsstichwort (Thema)
gesetzliche Unfallversicherung. Schülerunfallversicherung. Wegeunfall. innerer Zusammenhang. Lösung. eigenwirtschaftliche Tätigkeit. Abgrenzung: Umweg/Abweg. Wegstreckenverlängerung um 1/4 und zeitlicher Mehraufwand von ca 15 Minuten. Handlungstendenz. Zielrichtung: elterliche Wohnung. achtjähriges Kind. ADHS-Erkrankung. Einsichtsfähigkeit
Orientierungssatz
Ein achtjähriger und an einem Aufmerksamkeitsdefizits- und Hyperaktivitätssyndrom leidender Schüler, der auf der Busheimfahrt von der Schule trotz Aufforderung einer Mitschülerin nicht an der zur Familienwohnung nächst gelegenen Haltestelle, sondern später aussteigt, steht auf dem um ca 1/4 verlängerten Heimweg als auf einem Umweg gem § 8 Abs 1 Nr 2 SGB 7 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 03.08.2005 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, das Ereignis vom 28.11.2003 als Arbeitsunfall (Wegeunfall) anzuerkennen.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger bei dem Verkehrsunfall am 28.11. 2003 einen Arbeitsunfall (Wegeunfall) im Rahmen der Schülerunfallversicherung erlitten hat.
Der 1995 geborene Kläger war Schüler an der E.-Volksschule in M., K.straße. Am 28.11.2003 fuhr er wie gewöhnlich um 13.00 Uhr mit dem Schulbus nach Hause, M.weg, M. . Er stieg jedoch nicht an der zur Familienwohnung nächst gelegenen Haltestelle "M.straße" aus, sondern erst an der zwei Haltestellen weiter gelegenen Haltestelle "B.straße". Als er, um nach Hause zu kommen, die W.straße überquerte, wurde er auf der gegenüberliegenden Straßenseite von einem Pkw erfasst und schwer verletzt. Er erlitt einen Oberschenkelbruch und ein Schädelhirntrauma (Bericht des Klinikums A. vom 30.01.2004).
Zur Aufklärung des Sachverhalts zog die Beklagte die Akten der Staatsanwaltschaft M. bei, holte eine Auskunft des Rektors der E.-Schule vom 19.01.2000, einen Plan mit der Linienführung und den Haltestellen des Nordost-Busses ab E.-Schule ein und führte Gespräche mit den im Bus mitfahrenden Schülerinnen I. W. und R. B. .
Mit Bescheid vom 23.02.2004 lehnte die Beklagte es ab, das Ereignis vom 28.11.2003 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Der Kläger sei im Unfallzeitpunkt auf dem Heimweg von der Schule nicht mehr unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Er habe sich auf einem Abweg befunden; ein schulischer Anlass für den Abweg habe nicht bestanden. Er sei auch nicht versehentlich zu weit gefahren sondern bewusst. Die Mitschülerin R. B. habe ihn an der Haltestelle M.straße darauf aufmerksam gemacht, dass er "raus müsse".
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.04.2004 zurück. Der Kläger sei bewusst im Schulbus sitzen geblieben, da er R. B. habe überreden wollen, in der Schule neben ihm zu sitzen. Der Abweg sei somit aus eigenwirtschaftlichen Gründen erfolgt.
Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben und beantragt, den Bescheid vom 23.02. 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.04.2004 aufzuheben und den Unfall vom 28.11.2003 als Versicherungsfall anzuerkennen. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe sich auf einem Umweg befunden. Es sei seine Absicht gewesen, zu der Familienwohnung zu gelangen. Dieses Ziel habe er niemals aufgegeben. Die Abweichung sei wegen Geringfügigkeit unschädlich. Er habe, abgelenkt vom Gespräch mit R. B., neben der er in Zukunft sitzen wollte, das rechtzeitige Aussteigen verpasst. Er leide an einem Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom (ADHS). Er sei nicht absichtlich über die Haltestelle M.straße hinausgefahren. Das SG holte ein Attest der Kinderärztin Dr. S. vom 04.11.2004 ein (Behandlung wegen ADHS-Syndrom seit 11.02.2003), Berichte der Kinderklinik M. vom 28.03.2003, 26.11.2004, 25.05.2004, einen psychologischen Bericht der Kinderklinik M. vom 28.06.2002 (Vorstellung am 18.03.2002 nach Inbrandsetzen der Mietwohnung durch Zündeln), Bericht des Dr. H. vom 30.11.2004 und eine Auskunft der Polizeiinspektion M. vom 06.11.2004.
Danach betrug die Strecke des Busses von der Schule bis zur Haltestelle M.straße rund 3 km und weiter bis zur Haltestelle B.straße 650 m, zu Fuß betrug der Weg von der Haltestelle M.straße nach Hause 230 m und von der Haltestelle B.straße aus über den Kinderspielplatz 550 m. Weiter hat das SG die Zeugin R. B., 10 Jahre alt, einvernommen. Insoweit wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung hingewiesen.
Das SG hat mit Urteil vom 03.08.2005 die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Kläger habe sich zum Unfallzeitpunkt auf einem Abweg befunden, denn er habe auf dem Weg nach Hause nach dem Aussteigen an der Haltestelle B.straße im Bereich der H.straße wieder seinen ursprünglichen Weg erreicht gehabt. Der Abweg se...