Entscheidungsstichwort (Thema)

Blindengeldanspruch nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz: Anforderungen an eine Blindheitsbegutachtung. Beweiswürdigung. Objektivierung der Angaben eines sehbehinderten Menschen. Verhaltensbeobachtung durch den Sachverständigen. Beweislast. Beweisantrag

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Blindheitsbegutachtung können im Rahmen von Plausibilitätskontrollen ergänzend auch die Ergebnisse von Untersuchungen (objektive Testverfahren) berücksichtigt werden, die nicht mit Landoltringen (Fernvisus) und dem Goldmann Perimeter (mit der Reizmarke III/4e) durchgeführt worden sind (Fortsetzung der Rechtsprechung LSG München, 31. Januar 2013, L 15 BL 6/07). Dies ist regelmäßig sogar geboten und zählt zum Standard jeder ophthalmologischen Blindheitsbegutachtung.

2. Weiter können Verhaltensbeobachtungen berücksichtigt werden (Fortsetzung der Rechtsprechung LSG München, 16. September 2015, L 15 BL 2/13).

3. In besonderen Ausnahmefällen spezieller Krankheitsbilder ist die Annahme von Blindheit auch außerhalb der normierten Fallgruppen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze bzw. der Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft nicht von vornherein ausgeschlossen. Voraussetzung für die Berücksichtigung ist jedoch, dass feststeht, welche Visus und Gesichtsfeldwerte im Einzelnen erreicht werden. Ein allgemeiner, pauschaler Vergleich genügt nicht (Fortsetzung der Rechtsprechung LSG München, 5. Juli 2016, L 15 BL 17/12).

 

Normenkette

BayBlindG Art. 1

 

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 6. November 2015 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über den Blindengeldanspruch der Klägerin nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG).

Die 1934 geborene Klägerin stellte erstmals am 20.08.2009 Antrag auf Blindengeld beim Beklagten. Im Verwaltungsverfahren wurde u.a. ein Befundbericht des behandelnden Augenarztes Dr. L. eingeholt, in dem dieser einen Visus von 0,3 bzw. 0,25 feststellte und die Diagnosen einer hochgradigen Kurzsichtigkeit bds. (über minus 20 Dioptrin) mit Zustand nach Operationen des Grauen Stars 1994/1995, Zustand nach Tränenwegsoperation im Juli 2005 und endokrine Orbitopathie feststellte. Am Augenhintergrund bestünden, so Dr. L., hochgradige Dehnungsveränderungen bei hochgradiger Kurzsichtigkeit. Eine Gesichtsfeldmessung (nach Goldmann) sei nur am rechten Auge durchgeführt worden; am linken Auge sei sie nicht mehr durchführbar, weil die Klägerin gar nichts mehr gesehen habe und die Untersuchung abgebrochen habe werden müssen. Mit Bescheid vom 02.10.2009 lehnte der Beklagte den Antrag ab, da die Sehschärfe mehr als 1/50 betrage und sich keine Hinweise für Gesichtsfeldeinschränkungen, die einer Herabsetzung der Sehschärfe in dem genannten Umfang gleich zu achten wären, gefunden hätten. Das Gesichtsfeld habe die Fünf-Grad-Grenze überschritten.

Bereits am 24.06.2010 stellte die Klägerin einen neuen Antrag. Nach Auswertung eines neues Befundberichts von Dr. L. lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 15.07.2010 den Blindengeldantrag mit der Begründung ab, die Sehschärfe betrage auf beiden Augen 5/50 und das Gesichtsfeld des rechten Auges überschreite die Grenze von 5 Grad vom Zentrum des Gesichtsfeldrestes.

Den nächsten Blindengeldantrag stellte die Klägerin am 21.02.2011. Nach Auswertung eines weiteren Befundberichts von Dr. L. erstellte der Augenarzt Dr. P. am 11.04.2011 ein (kurzes) Gutachten. Als Diagnosen stellte Dr. P. exzessive Myopie mit myopischer Maculopathie; hinteres Staphylom, Papillendysplasie, Strabismus convergens, Pseudophakie, diszidierter, regeneratorischer Nachstar, endokrine Orbitopathie, chronisches Glaukom und Tränenwegsstenose. Als Visusbefund hielt Dr. P. 0,1 (rechts bzw. beidäugig) fest. Selbst bei binokularer Testung des Gesichtsfelds sei die Testmarke III/4 nicht erkannt worden. Mit Bescheid vom 29.04.2011 wies der Beklagte den Antrag ab. Bei dem bestehenden Visus erscheine es nicht plausibel, so der Beklagte, dass die maßgebliche Testmarke nicht erkannt worden sei.

Die Klägerin stellte am 28.10.2011 erneut Antrag. Nach Auswertung eines Befundberichts von Dr. J. und Anfertigung eines Gutachtens von Dr. P. lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 31.01.2012 auch diesen Antrag ab. Die Sehschärfe betrage auf dem besseren rechten Auge 1/35. Das gemessene Gesichtsfeld (binokular, Reizmarke III/4) überschreite die 30 Grad-Grenze.

Der nächste Antrag datierte vom 04.10.2012. Nach Auswertung eines Befundberichts von Dr. L. lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom am 31.10.2012 ab, da die Sehschärfe auf beiden Augen 5/50 betrage.

Bereits am 05.02.2014 stellte die Klägerin den nächsten Antrag auf Blindengeld. Der Befundbericht des befragten Dr. L. stellte einen Visus von 0,1 fest und verwies hinsichtlich des Gesichtsfelds auf den Befund vom September 2012. Mit Bescheid vom 25.02.2014 wurde auch dieser Antrag abgelehnt. Der...

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