Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme der Überbrückungsgeldbewilligung für die Vergangenheit. Versäumung der Ausschlussfrist des § 45 Abs 4 S 2 SGB 10. Beginn der Jahresfrist. Erstattungsanspruch bei Vorschusszahlung
Orientierungssatz
1. Die einjährige Ausschlussfrist des § 45 Abs 4 S 2 SGB 10, nach deren Ablauf ein rechtswidriger Verwaltungsakt nicht mehr für die Vergangenheit zurück genommen werden kann, beginnt mit der Kenntnis der Tatsachen, die die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Damit sind zunächst alle tatsächlichen Umstände gemeint, die nach Maßgabe von § 45 SGB 10 zur tatbestandlichen Prüfung der Aufhebbarkeit des begünstigenden Verwaltungsaktes erforderlich sind. Die Jahresfrist für die rückwirkende Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsaktes beginnt nicht eher zu laufen, als der für die Entscheidung über die Aufhebung nach der Geschäftsverteilung des Leistungsträgers zuständigen Behörde die Tatsachen zur Bearbeitung vorliegen, aus denen sich die tatbestandlichen Voraussetzungen der Aufhebbarkeit des Verwaltungsaktes ergeben.
2. Der Begriff Kenntnis des § 45 Abs 4 S 2 SGB 10 enthält subjektive und objektive Elemente. Die den Beginn der Jahresfrist bestimmende Kenntnis liegt dann vor, wenn mangels vernünftiger, objektiv gerechtfertigter Zweifel eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendiger Tatsachen besteht. Kenntnis setzt voraus, dass das bei der Behörde vorhandene Wissen den Erlass eines rechtmäßigen Aufhebungs- bzw Rücknahmebescheides ermöglicht. Dies erfordert eine hinreichend sichere Information über alle, für die Aufhebung bedeutsamen Fakten. Dies kann aber nicht von der individuellen Einstellung des zuständigen Sachbearbeiters abhängig gemacht werden. Vielmehr kommt es auf den Standpunkt der Behörde an. Anderenfalls könnte dem Ziel der Rechtssicherheit, das in § 45 Abs 4 S 2 SGB 10 zum Ausdruck kommt, nicht Rechnung getragen werden (vgl BSG vom 25.1.1994 - 7 RAr 14/93 = BSGE 74, 20 und vom 8.2.1996 - 13 RJ 35/94 = BSGE 77, 295).
3. Der Ablauf der Frist gem § 45 Abs 4 S 2 SGB 10 beginnt nicht erst mit der Anhörung des Leistungsbeziehers im Juli 1999, wenn bereits sehr früh im zeitlichen Zusammenhang mit der Überbrückungsgeldbewilligung zahlreiche Anhaltspunkte dafür bestanden, dass es zu einem parallelen Bezug von Überbrückungsgeld und Arbeitslosengeld kommen kann und der Leistungsbezieher bereits August 1998 per Fax mitgeteilt hat, dass er nur bis Februar 1996 Einkommen aus dem zu diesem Zeitpunkt stillgelegten Gewerbe bezogen habe.
4. Auch eine Erstattung des Überbrückungsgeldes nach § 42 Abs 2 SGB 1 ist nicht möglich, wenn die Behörde - wie hier - feststellt, dass trotz des bewilligten Vorschusses ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach nicht besteht bzw bestand. Dann muss der Vorschussbescheid gem § 45 SGB 10 zurück genommen werden.
Nachgehend
Tenor
I. |
|
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. November 2002 und der Bescheid vom 26. Mai 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 2000 aufgehoben. |
II. |
|
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. |
III. |
|
Die Revision wird nicht zugelassen. |
Tatbestand
Streitig sind die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung von Überbrückungsgeld und die Rückforderung von 11.942,96 Euro.
Der ... 1937 geborene Kläger, von Beruf Diplom-Ingenieur, hatte nach seinen Angaben bei verschiedenen Unternehmen der Papierindustrie gearbeitet. Im Juni 1992 hatte er sich arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld bezogen; die Beklagte hatte mit den Bescheiden vom 23. September 1992 das Ruhen des Leistungsanspruchs bis 31. Mai 1993 wegen Sperrzeiten festgestellt.
Im März 1993 nahm er eine freiberufliche Tätigkeit auf (Unternehmens- und PR-Beratung); wegen Übergabe des Betriebs an seine Ehefrau zum 22. Februar 1996 meldete er das Gewerbe am 29. Februar 1996 ab und beantragte am 27. Februar 1996 bei der Beklagten die Fortzahlung des Arbeitslosengeldes. Er arbeitete in dem Betrieb seiner Ehefrau mit weniger als 18 Stunden wöchentlich mit und erhielt vom 27. Februar 1996 bis 5. Oktober 1996 aus dem Restanspruch der im Juni 1992 erfüllten Anwartschaft Arbeitslosengeld.
Mit Schreiben vom 7. Oktober 1996 beantragte er bei der Beklagten Überbrückungsgeld und gab als Existenzgründungsvorhaben die Beratung von mittelständischen Unternehmen, Marketing, Vertrieb, Projekt-Management, auch als Interims-Manager an; der Sachbearbeiter des Arbeitsamts vermerkte auf diesem Antrag als Datum der Antragstellung den 1. Oktober 1996 sowie den Bezug von Arbeitslosengeld seit 27. Februar 1996 in Höhe von 673,80 DM. Der auf den 1. Oktober 1996 datierte Antrag auf Überbrückungsgeld enthält ferner den Bearbeitungsvermerk vom 28. November 1996, wonach dem Kläger Überbrückungsgeld vom 7. Oktober 1996 für 26 Wochen in Höhe ...