Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Analogleistung. rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer. Kirchenasyl
Leitsatz (amtlich)
1. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Leistungsberechtigten im Sinne des § 2 Abs 1 AsylbLG liegt nicht erst dann vor, wenn das Verhalten als unentschuldbar anzusehen ist (entgegen BSG vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R = BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2).
2. Genügend ist ein gesetzeswidriges, vorwerfbares Verhalten des Leistungsberechtigten, soweit dieses die Dauer des Aufenthalts beeinflusst. Es ist (hier) vorwerfbar, dass sich die Leistungsberechtigte der Überstellung bzw der Abschiebung durch ihren Aufenthalt im Kirchenasyl entzogen hat.
3. Hinsichtlich der Rechtsmissbräuchlichkeit kommt es weder auf die Zurückhaltung der staatlichen Behörden, die Überstellung bzw Abschiebung der sich im Kirchenasyl aufhaltenden Leistungsberechtigten zwangsweise zu vollziehen, noch darauf an, ob das Verhalten der Kirchen, den von Abschiebung bedrohten Ausländern Kirchenasyl zur Verfügung zu stellen, mit den Werten der Gesellschaft vereinbar ist.
4. Notwendig ist ein kausaler Zusammenhang zwischen dem vorwerfbaren Verhalten des Leistungsberechtigten und der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes. Ausreichend hierfür ist eine typisierende, also generell-abstrakte Betrachtungsweise; ein Kausalzusammenhang im eigentlichen Sinn ist nicht erforderlich (vgl BSG vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R aaO).
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 07.11.2018 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin für den Zeitraum 25.05.2018 bis 31.12.2018 Anspruch auf Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) hat.
Die 1995 geborene Klägerin ist äthiopische Staatsangehörige. Sie verließ ihre Heimat und reiste nach eigenen Angaben über den Sudan und Libyen am 02.05.2016 nach Italien ein. Dort hielt sie sich ca. 2 Monate auf und reiste mit dem Zug nach Deutschland weiter. Die Klägerin wurde nach ihrer Einreise am 24.07.2016 am Bahnhof L-Stadt aufgegriffen. Sie stellte zunächst ein Schutzersuchen und am 15.09.2016 einen Asylantrag. Die Klägerin erhielt infolgedessen eine Aufenthaltsgestattung.
Nach ihrer Einreise wurde die Klägerin im Klinikum F. in der Zeit vom 08.08.2016 bis zum 17.08.2016 stationär behandelt (Bericht vom 17.08.2016). Zur Anamnese wurde ausgeführt, dass bei der Klägerin ein deutlich erhöhter Blutzucker aufgefallen sei. Sie habe nicht über Beschwerden berichtet, ein Diabetes mellitus sei bei ihr nicht bekannt. Als Diagnosen wurden festgestellt: Diabetes mellitus, vermutlich Typ 1, mit diabetischer Retinopathie und einer beginnenden diabetischen Nephropathie. Bei der beschwerdefreien Klägerin seien bei der Aufnahme weiterhin deutlich erhöhte Blutzuckerwerte festgestellt worden. Es sei mit der Einstellung auf ein intensiviertes Insulinschema begonnen worden. Zudem habe die Klägerin Diabetes-Schulungen erhalten. An Folgen des sicherlich bereits länger vorliegenden und nicht behandelten Diabetes mellitus hätten sich Hinweise für eine diabetische Nephropathie und eine diabetische Retinopathie finden lassen.
Vom 25.08.2016 bis zum 01.09.2016 hielt sich die Klägerin erneut zur stationären Behandlung im Klinikum F. auf. Nach dem Bericht vom 31.08.2016 sei die Klägerin mit einem schlecht eingestellten Diabetes mellitus wieder aufgenommen worden. Es seien eine Insulineinstellung und eine Diabetesschulung bei Diabetes mellitus Typ 2 erfolgt. Als Folgeerkrankungen des Diabetes mellitus seien eine diabetische Retinopathie und eine diabetische Nephropathie festgestellt worden. Die Klägerin komme mit dem Blutzuckermessen und dem Spritzen von Insulin gut zurecht. Weiter seien unklare wechselnde schmerzhafte noduläre (knötchenförmige) Hautveränderungen am rechten Knie, Abdomen und Gesäß festgestellt worden. Diese seien bereits beim Voraufenthalt aufgefallen. Empfohlen werde eine ambulante Vorstellung bei einem niedergelassenen Hautarzt.
Am 15.09.2016 führten Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit der Klägerin in C-Stadt ein persönliches Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und hörten sie zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrages an (Erst- und Zweitbefragung). Nachdem ein Vergleich der Fingerabdrücke der Klägerin in der EURODAC-Datenbank eine Übereinstimmung mit in Italien genommenen Fingerabdrücken ergab, richtete das BAMF im sog. Dublin-Verfahren am 21.09.2016 ein Übernahmeersuchen an Italien.
Mit Bescheid vom 04.01.2017 lehnte das BAMF den Asylantrag der Klägerin als unzulässig ab. Es wurde festgestellt, dass keine Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vorliegen, und die Abschiebung der Klägerin nach Italien angeordnet. Zur Begründung führt...