Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewaltopferentschädigung. Gewalttat. schwere Misshandlung. Vergewaltigung. posttraumatische Belastungsstörung. Vorschädigung. Härteregelung. besondere berufliche Betroffenheit iS des § 30 Abs 2 BVG
Leitsatz (amtlich)
Eine Frau, die von ihrem (ehemaligen) Lebenspartner im Jahr 1974 schwer misshandelt und wiederholt vergewaltigt worden ist, hat Anspruch auf Entschädigungsleistungen nach Maßgabe der Härteregelung § 10a OEG. Dies gilt auch dann, wenn schädigungsunabhängig bereits in der Kindheit als auch nach der Trennung von dem gewalttätigen Lebenspartner weitere Schicksalsschläge haben hingenommen werden müssen, die sich vor allem neben der entschädigungspflichtigen posttraumatischen Belastungsstörung auf nervenfachärztlichem Gebiet manifestiert haben.
Ist aus den Vergewaltigungshandlungen ein Kind hervorgegangen und hat deswegen keine berufliche Ausbildung mehr erfolgen können, stellt dies eine besondere berufliche Betroffenheit iS von § 30 Abs 2 BVG mit der Folge dar, dass der hier schädigungsbedingte GdS von 40 auf insgesamt 50 zu erhöhen ist.
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 31. März 2006 sowie der Bescheid des Beklagten vom 12. April 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2002 aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, bei der Klägerin als Schädigungsfolge eine "posttraumatische Belastungsstörung" im Sinne der Entstehung festzustellen und hierfür Versorgungsleistungen nach einem GdS von 50 gemäß § 30 Abs. 1 und 2 BVG ab 1. Februar 2002 zu gewähren.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung zu 7/10 zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die 1957 geborene Klägerin begehrt Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
Die Klägerin hat am 05.02.2002 einen Antrag auf Leistungen nach dem OEG eingereicht. Sie leide an Schlafstörungen, Depressionen, ständiger Unruhe, Angstzuständen, Panikattacken und Alpträumen als Folge von körperlichen Misshandlungen und wiederholten Vergewaltigungen.
Die Klägerin hat im April 1974 ihren ehemaligen Lebensgefährten G. A. kennen gelernt. Nach einem Selbstmordversuch mit Schlaftabletten haben ihre Eltern im Einvernehmen mit dem Jugendamt der Stadt C-Stadt ihr Einverständnis dahingehend erklärt, dass die Klägerin im Mai 1974 zu ihrem Lebensgefährten zog. Die Beziehung ist anfänglich ohne Zwischenfälle verlaufen, bis die Klägerin und ihr Partner in finanzielle Not geraten sind. A. verlangte dann von der Klägerin, sie solle sich von Verwandten und ihren Eltern Geld leihen. Die finanziellen Schwierigkeiten des Paares hatten ihre Ursache u.a. auch darin, dass die Klägerin ihre Arbeitsstelle als Verkäuferin verloren hatte. A. hatte sie häufig an ihrem Arbeitsplatz aufgesucht und dies war nach Meinung der Klägerin der Grund, warum ihr Arbeitgeber ihr kündigte. Um die finanzielle Not etwas zu lindern, erlaubte A. der Klägerin, dass sie in einem Gasthaus in C-Stadt arbeitete. Diese Arbeitsstelle behielt sie jedoch auch nur für kurze Zeit, weil A. sie dort wiederholt aufsuche, ihr Szenen mache und sie schlug. Ursache dieses Verhaltens war die maßlose Eifersucht von A.. Dieser duldete ab August 1974 nicht mehr, dass die Klägerin alleine die gemeinschaftliche Wohnung verließ. Sie ist dort gleichsam "inhaftiert" worden. In dieser Zeit kam es auch häufig zu Auseinandersetzungen zwischen der Klägerin und ihm. Er hat sie mit Händen und Fäusten geschlagen; es ist aber auch vorgekommen, dass er sie mit den Füßen getreten hat, als sie bereits am Boden lag. Einmal wurde sie auch mit einem Gürtel geschlagen, an dem eine Eisenschnalle befestigt war. A. verlangte dann von der Klägerin, noch während er sie schlug, dass sie mit ihm den Geschlechtsverkehr ausübe. In einer nicht mehr feststellbaren Zahl von Fällen willigte die Klägerin aus Furcht vor weiteren Schlägen in den Geschlechtsverkehr mit A. ein. Am 02.10.1974 gelang es der Klägerin, mit Hilfe ihres Vaters wieder im Hause ihrer Eltern aufgenommen zu werden. Aus dieser Beziehung stammt die im Juli 1975 geborene Tochter N. R., die von der Klägerin aufgezogen wurde. A. ist schuldig gesprochen worden, eines fortgesetzten Verbrechens der Vergewaltigung in Tateinheit mit einem fortgesetzten Vergehens der Freiheitsberaubung und einem fortgesetzten Vergehen der Körperverletzung (vgl. Urteil des Jugend-Schöffengerichts bei dem Amtsgericht K. vom 07.11.1975).
Der Beklagte zog die Schwerbehinderten-Akten und die Rentenakten der Landesversicherungsanstalt Schwaben bei. Dort hat Dr. G. mit nervenärztlichem Gutachten vom 13.12.1988 einen Einstieg in die Arbeitswelt nur im Rahmen einer beschützenden Arbeitsstelle, z.B. in den U.-Werkstätten für erreichbar erachtet. Die Klägerin leide seit dem 9. Lebensjahr unter Depressionen. Sie sei schon immer ein trauriges K...