Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Rentenversicherung: Grenze der Beratungspflicht des Versicherungsträgers hinsichtlich des Ausschlusses eines Wechsels in eine andere Rente wegen Alters nach bindender Bewilligung einer Altersrente

 

Leitsatz (amtlich)

Zum Umfang der Beratungspflichten des Versicherungsträgers im Zusammenhang mit § 34 Abs. 4 SGB VI.

§ 34 Abs. 3 SGB VI ist verfassungsgemäß.

 

Orientierungssatz

1. Der Versicherungsträger muss nicht wie ein Rechtsberater den Versicherten schlechterdings auf alle aus den Vorschriften des Gesetzes zu ziehenden Vorteile aufmerksam machen. Er muss weder auf Möglichkeiten des Rechtsmissbrauchs noch auf solche Gestaltungsmöglichkeiten hinweisen, die zwar keinen Rechtsmissbrauch bedeuten, die der Gesetzgeber jedoch vom Bürger nicht ohne weiteres erwartet.

2. Mit der Regelung des § 34 Abs. 4 SGB VI soll erreicht werden, dass es im Regelfall bei der einmal gewährten Altersrente bleibt. Es ist nicht Aufgabe des Versicherungsträgers, zur Einlegung eines Widerspruchs allein zum Zweck der Umgehung der Bindungswirkung zu raten. Der Versicherte soll durch die Aufklärung im Vorhinein überlegen, ob er die Zeit bis zum Beginn der günstigeren Renten überbrücken kann und will. Der Versicherungsträger muss einem Versicherten aber nicht erklären, wie er sich die Überlegungsfrist möglichst lange offenhalten kann.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 23. August 2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der 1946 geborene Kläger begehrt die Umwandlung der ihm gewährten Altersrente wegen Altersteilzeit in eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen.

Der Kläger war bei der R. E. GmbH & Co. KG in B-Stadt seit 1979 bis 30.04.2004 als LKW-Fahrer versicherungspflichtig beschäftigt.

Mit Vereinbarung vom 30.04.2004 wurde das Arbeitsverhältnis in ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis umgewandelt mit einer Arbeitsphase vom 01.05.2004 bis 31.07.2006 und einer anschließenden Freistellungsphase vom 01.08.2006 bis 31.10.2008.

Nach § 2 Ziffer 1 der Vereinbarung (Tätigkeit) hatte der Kläger ab 01.05.2004 aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Betriebsratsvorsitzender u.a. die Geschäftsleitung in betriebsverfassungsrechtlichen und betriebsorganisatorischen Fragen zu beraten und in dieser Funktion direkt der Geschäftsleitung zu berichten. Dabei erbrachte der Kläger seine Arbeitsleistung in seiner Wohnung (außerbetriebliche Arbeitsstätte) und auf Anforderung der Arbeitgeberin auch an der Betriebsstätte (vgl. § 2 Ziffer 2 der Altersteilzeit-Vereinbarung). In der Arbeitsphase vom 01.05.2004 bis 31.07.2006 betrug die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit vereinbarungsgemäß 10 Stunden, die jeweils von Montag bis Freitag zwischen 8 Uhr und 16 Uhr verteilt auf höchstens 2 Tage pro Woche zu erbringen war (vgl. § 3 Ziffer 1 der Altersteilzeit-Vereinbarung).

Am 03.09.2008 beantragte der Kläger Altersrente wegen Vollendung des 60. Lebensjahres für schwerbehinderte Menschen bzw. für Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige und auch Altersrente nach Altersteilzeitarbeit. Die beantragte Altersrente solle am 01.11.2008 beginnen. Der Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft sei im Januar 2007 beim Amt für Versorgung und Familienförderung B-Stadt II gestellt worden. Das Verfahren laufe noch.

Mit Schreiben vom 18.09.2008 informierte die Beklagte den Kläger darüber, dass bei einem Rentenbeginn am 01.11.2008 die Altersrente nach Altersteilzeitarbeit 19 Monate vorzeitig in Anspruch genommen werde und deshalb bei der Berechnung dieser Altersrente ein Rentenabschlag in Höhe von 5,7 % zu berücksichtigen sei. Die Altersrente für schwerbehinderte Menschen würde bei diesem Rentenbeginn jedoch nur zwölf Monate vorzeitig in Anspruch genommen werden; bei der Berechnung dieser Altersrente würde sich daher kein oder nur ein geringerer Rentenabschlag ergeben. Die Höhe der einzelnen Altersrenten seien den beigefügten Probeberechnungen zu entnehmen. Die Altersrente für schwerbehinderte Menschen könne erst bewilligt werden, wenn der Nachweis über die Schwerbehinderteneigenschaft erbracht worden sei. Da dies hier noch nicht erfolgt sei, bestehe derzeit nur die Möglichkeit, die Altersrente nach Altersteilzeitarbeit festzustellen. Ausdrücklich wies die Beklagte in Fettdruck darauf hin, dass nach bindender Bewilligung einer Altersrente der Wechsel in eine andere Altersrente nicht mehr möglich sei. Sollte sich bei Nachweis der Schwerbehinderteneigenschaft bzw. Feststellung von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit für die Altersrente für schwerbehinderte Menschen derselbe Rentenbeginn wie für die dann bereits festgestellte Altersrente ergeben, würde ein entsprechender Bescheid erteilt und diese Rente anstelle der bisherigen Altersrente gezahlt. Ergebe sich für die Altersrente für schwerbehinderte Menschen allerdings ein späterer Rentenbeginn als für die Altersrente nach Altersteilzeitarbeit, hätte der Kläger keinen Anspruc...

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