Entscheidungsstichwort (Thema)
Bundeserziehungsgeldanspruch. polnischer Staatsangehöriger. Aufenthaltstitel. nationales Recht. EG-Recht. supranationales Recht. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Zum Nichtvorliegen eines Erziehungsgeldanspruchs eines polnischen Staatsangehörigen, der nicht "im Besitz eines Aufenthaltstitels" iS des § 1 Abs 1a BErzGG idF vom 23.6.1993 ist, auf Grund höherrangigem supranationalem oder in innerstaatliches Recht transformiertes internationales Recht.
2. Anders als Art 3 Abs 1 des Beschlusses Nr 3/80 des Assoziationsrats vom 19.9.1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige (EWGAssRBes 3/80), der sich in der nationalen Rechtsanwendung unmittelbar umsetzen lässt (EuGH vom 4.5.1999 - C-262/96 = SozR 3-6935 Allg Nr 4) enthält Art 37 Abs 1 des Assoziations-Abkommens mit Polen (EGAbk POL) einen ausdrücklichen Vorbehalt bezüglich der in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden Bedingungen und Modalitäten. Zu den im Erziehungsgeldrecht der Bundesrepublik geltenden Bedingungen und Modalitäten zählt das Erfordernis eines Aufenthaltstitels für einen Ausländer nach § 1 Abs 1a BErzGG. Für § 1 Abs 3 Bundeskindergeldgesetz hat dies das BSG in seinem Urteil vom 15.10.1998 - B 14/10 KG 27/96 R = SozR 3-6720 Art 38 Nr 1) festgestellt.
3. Das BSG hat in seinem Urteil vom 15.10.1998 - B 14/10 KG 27/96 R = SozR 3-6720 Art 38 Nr 1 die Art 38 und 39 des Europa-Abkommens mit Polen (EGAbk POL) als speziell gegenüber Art 37 Abs 1 gesehen und schon aus diesem Grunde einen Anspruch des dortigen - eines Aufenthaltstitels iS des § 1 Abs 3 BKGG ermangelnden - Klägers auf Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz abgelehnt, ohne einen Anlass zu einer Vorlage an den EuGH nach Art 177 EGVtr zu sehen. Der Senat schließt sich dem an.
4. Ein Beschluss (gemäß Art 39 Abs 1 EGAbk POL) ist bisher nicht ergangen. Damit gibt es noch keine assoziationsrechtlichen Regelungen, die bestimmen, ob und auf welche Art und Weise bzw in welchem Umfang Arbeitnehmern polnischer Staatsangehörigkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten "Familienzulagen" iS des Art 38 Abs 1 EGAbk POL gewährt werden.
5. Bei den Regelungen der Europäischen Sozialcharta handelt es sich grundsätzlich nicht um Rechtssätze, die einer unmittelbaren, gerichtlich überprüfbaren Anwendung im innerstaatlichen Recht zugänglich sind (vgl BVerwG vom 18.12.1992 - 7 C 12/92 = BVerwGE 91, 327 = NvWZ 1993, 778).
6. Die Vorenthaltung des Anspruchs auf Bundeserziehungsgeld aufgrund des Ausschlusstatbestandes des § 1 Abs 1a BErzGG verstößt nicht gegen Art 6 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG und Art 3 Abs 1 und 3 GG.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 11. November 1997 in Ziffer II aufgehoben. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
II. Weitere außergerichtliche Kosten als die dem Kläger im Bescheid vom 09.03.1998 zugesprochenen sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch auf Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG).
Der 1961 geborene Kläger, polnischer Staatsangehöriger, reiste im Februar 1987 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte den Antrag mit Bescheid vom 24.06.1987 ab, der am 06.11.1987 bestandskräftig wurde. In der Folge erteilte das Landratsamt M in Unterfranken dem Kläger halbjährlich erneute Duldungen. Auf Antrag vom 14.08.1989 wurden dem Kläger am 14.11. 1989 zunächst auf ein Jahr, dann jeweils auf zwei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnisse erteilt. Diese wurden unter Geltung des Ausländergesetzes 1990 ab 01.01.1991 in Aufenthaltsbefugnisse neuen Rechts umgewandelt. Letztmals erhielt der Kläger am 20.01.1995 eine bis 23.01.1997 gültige Aufenthaltsbefugnis. Seit Januar 1992 beantragte er wiederholt erfolglos die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis.
Am 15.03.1990 hatte der Kläger seine im Dezember 1988 aus Polen nach Deutschland eingereiste Verlobte L W. geheiratet. ... ... 1995. wurde dem Ehepaar die Tochter A geboren. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld, ab 30.11.1995 Arbeitslosenhilfe, die Ehefrau war als Textilarbeiterin beschäftigt.
Am 18.12.1995 beantragte der Kläger Bundeserziehungsgeld für das erste Lebensjahr seiner Tochter A. Die Familienkasse beim Versorgungsamt W lehnte den Antrag mit Bescheid vom 20.12.1995 ab. Für den Anspruch eines Ausländers auf Erziehungsgeld setze § 1 Abs. 1 a Satz 1 BErzGG voraus, dass er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis sei. Dies sei beim Kläger nicht der Fall. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, dass die ihm erteilte Aufenthaltsbefugnis im Hinblick auf seinen langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet einer befristeten Aufe...