Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Berufungseinlegung per E-Mail ohne Signatur. Schriftformerfordernis. fehlende Unterschrift. vergleichbare Anhaltspunkte für die Urheberschaft. richterliche Hinweispflicht bzw Gelegenheit zur Nachholung. ordnungsgemäße Durchführung des Vorverfahrens. Annahme der Bindungswirkung des Verwaltungsakt bzw etwaiger Unbegründetheit der Klage nach Prüfung etwaiger Wiedereinsetzungsgründe

 

Leitsatz (amtlich)

1. Einem E-Mail fehlt das Schrifterfordernis.

2. Einem E-Mail fehlt die Unterschrift.

3. Ein E-Mail kann rechtlich wirksam iS des Prozessrechts nur als elektronisches Dokument iS von § 65a SGG übermittelt werden.

4. Die schriftliche Einlegung der Berufung erfordert im Regelfall anders als bei der Klageerhebung (Sollvorschrift nach § 92 SGG) eine Unterschrift.

5. Das Schriftformerfordernis bei Einlegung einer Berufung kann auch dann erfüllt sein, wenn es zwar an einer Unterschrift fehlt, wenn sich jedoch aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen, das Schreiben in den Verkehr zu bringen, ergibt.

6. Auf das Fehlen seiner Unterschrift ist der Berufungsführer rechtzeitig hinzuweisen, damit er seine Prozesshandlung nachholen kann.

7. Zur ordnungsgemäßen Durchführung des Vorverfahrens genügt eine ablehnende Entscheidung der Verwaltung durch Widerspruchsbescheid. Nur in der Verwaltungsgerichtsbarkeit wird zum Teil darüber hinaus die ordnungsgemäße (fristgerechte Einlegung) Durchführung des Vorverfahrens gefordert.

8. Erst nach Prüfung von Wiedereinsetzungsgründen durch das Gericht ist die Schlussfolgerung möglich, dass der Verwaltungsakt bindend geworden (§ 77 SGG) und die Klage unter Umständen unbegründet ist.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 20. Dezember 2010 wird verworfen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II in Höhe von 1.320,43 EUR streitig. Am 12.02.2009 erließ die Beklagte einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid in Höhe von 1.320,43 EUR für den Zeitraum vom 01.08. bis 30.11.2008, in welchem der Kläger Leistungen nach dem SGB II bezogen hatte. Zur Begründung war ausgeführt, dass der Kläger über Vermögenswerte in Höhe von 60.000 EUR verfüge und daher nicht hilfebedürftig im Sinne von § 9 SGB II gewesen sei.

Am 23.03.2009 erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, dass er den Betrag von 60.000 EUR erst im Januar 2009 erhalten habe und während des Erstattungszeitraumes noch mittellos und auf Unterstützung angewiesen gewesen sei. Die Beklagte wies den Rechtsbehelf mit Widerspruchsbescheid vom 08.07.2009 zurück, weil die Widerspruchsfrist bei Einlegung des Rechtsbehelfs verstrichen gewesen sei. Der Bescheid vom 12.02.2009 sei am dritten Tage nach Aufgabe zur Post (am 15.2.2009) bekannt gegeben worden.

Einen am 20.07.2009 eingelegten Widerspruch gegen die Zahlungsaufforderung der Beklagten gab diese an das Sozialgericht Landshut als Klage ab. Darin führte der Kläger aus, dass er in neurologisch-psychiatrischer Behandlung sei und er daher die Widerspruchsfrist um einige Tage versäumt habe.

Durch Urteil vom 20.12.2010 hat das SG die Klage als unzulässig abgewiesen. Gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei vor Erhebung der Anfechtungsklage Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Unstreitig habe der Kläger die Widerspruchsfrist versäumt. Damit sei das Vorverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt gewesen. Triftige Gründe für eine Wiedereinsetzung gemäß § 67 SGG seien weder erkennbar noch glaubhaft gemacht. Das SG hatte jedoch das persönliche Erscheinen angeordnet und am 20.12.2010 eine mündliche Verhandlung abgehalten. Diese Anordnung wurde aber wieder aufgehoben, weil der Kläger nicht erschienen war. Weiter hat das SG seine Entscheidung damit begründet, dass es jedenfalls nicht ausreiche, dass der Kläger in neurologisch-psychiatrischer Behandlung sei. Insofern hätte der Kläger schon schlüssig vortragen und glaubhaft machen müssen, weshalb ihn die ärztliche Behandlung an der fristgemäßen Einlegung des Widerspruchs gehindert hat.

Auf das ihm am 11.01.2011 zugestellte Urteil des SG hin hat der Kläger am 20.1.2011 an das SG ein Schreiben gemailt. Darin schilderte er die Vorgänge und bat um Benachrichtigung über Akteneinsicht. Dieses Schreiben hat das SG am 01.02.2011 dem Bayer. Landessozialgericht (LSG) vorgelegt.

Mit Schreiben vom 02.02.2011 hat der Senat den Kläger darauf hingewiesen, dass seine Berufung nicht formgerecht im Sinne von § 151 Abs. 3 SGG erfolgt sei. Es fehle seine Unterschrift. Gelegenheit zur Nachholung werde gegeben. Er solle dafür Sorge tragen, dass die Monatsfrist nach Bekanntgabe des Urteils eingehalten werde.

Zwischenzeitlich ist kein weiterer Schriftsatz des Klägers eingegangen.

Der Kläger be...

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