Leitsatz (amtlich)

Die Behörde kann in geeigneten Fällen anlässlich einer Einladung zu einem Meldetermin nach § 59 SGB II i.V.m. § 309 SGB III den Betroffenen darauf hinweisen, dass eine schlichte Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit im Falle eines Terminversäumnisses nicht als ausreichende Entschuldigung angesehen wird.

Dieser Hinweis ist erforderlich, um die subjektive Vorwerfbarkeit des Meldeversäumnisses für eine Sanktion nach § 32 SGB II zu begründen.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München, S 52 AS 2428/11, vom 21. November 2011 wird zurückgewiesen.

II. Die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Beklagte im Rahmen einer Einladung zu einem Meldetermin für den Fall, dass der Kläger den Termin aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrnimmt, ein qualifiziertes ärztliches Attest verlangen darf.

Der 1960 geborene Kläger bezieht nach einem Umzug seit November 2010 zusammen mit seiner Ehefrau und der 1995 geborenen Tochter fortlaufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Beklagten. Für Unterkunft und Heizung (Mietwohnung) fallen monatlich 652,50 Euro an. Für die Tochter erhält er Kindergeld in gesetzlicher Höhe. Die Ehefrau erzielt seit 01.01.2012 ein Einkommen aus Beschäftigung in Höhe von monatlich 800,- Euro netto.

Im Beratungsgespräch am 11.03.2011 besprachen der Kläger und ein Mitarbeiter des Beklagten die Notwendigkeit einer ärztlichen Untersuchung. Eine Teilnahme an einem Informationstag für Bewerber ab 50 Jahre lehnte der Kläger ab, weil er ein Hörgerät und eine Brille benötige sowie einen Behindertentransport.

Einen Termin zu ärztlichen Untersuchung am 30.03.2011 sagte der Kläger am 29.03.2011 unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über Arbeitsunfähigkeit (AU-Bescheinigung) ab. Am 01.04.2011 bewarb sich der Kläger außerhalb seines Wohnortes um eine Arbeit.

Einen Termin zu ärztlichen Untersuchung am 07.04.2011 in E. sagte der Kläger am 06.04.2011 ebenfalls unter Vorlage einer AU-Bescheinigung ab. Am selben Tag suchte er das Landratsamt in E. wegen einer Führerscheinangelegenheit auf.

Für eine zum 04.05.2011 anberaumte ärztliche Untersuchung wurde mündlich darauf hingewiesen, dass bei krankheitsbedingter Versäumnis ein besonderes Attest nötig sei, wonach der Kläger an der Untersuchung nicht teilnehmen könne. Der Kläger drohte dem ärztlichen Dienst daraufhin mit einer Strafanzeige wegen schwerer Körperverletzung und Beihilfe zu einer Straftat.

Der Kläger wurde mit Schreiben vom 05.07.2011 für den 18.07.2011 erneut zu einer ärztlichen Untersuchung eingeladen. Dabei wurde für den Fall der krankheitsbedingten Versäumnis die Vorlage eines besonderen Attests gefordert, wonach er an der Untersuchung aufgrund der aktuellen Erkrankung nicht teilnehmen könne. Der Kläger nahm an der Untersuchung nicht teil und erhob gegen diesen Hinweis Klage und Berufung (vgl. BayLSG, Urteil vom 29.03.2012, L 7 AS 961/11).

Einer weiteren Einladung zum 09.09.2011 kam der Kläger unter Vorlage einer AU-Bescheinigung nicht nach.

Der Kläger wurde mit Schreiben vom 12.09.2011 für den 16.09.2011 zu einer Besprechung über eine neue Eingliederungsvereinbarung eingeladen. Das Schreiben enthielt eine Rechtsfolgenbelehrung zu einer Sanktion und folgende Formulierung:

"Eine ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit ist grundsätzlich keine hinreichende Begründung für eine Nichtteilnahme am Gespräch mit Ihrem Arbeitsvermittler im Jobcenter. Bei diesem Gespräch handelte es sich um keine Arbeitstätigkeit. Es ist daher bei Nichterscheinen ein gesondertes Attest des Arztes mit folgendem Wortlaut erforderlich: "Die Teilnahme am Termin im Jobcenter (Arbeitsvermittlung) ist aufgrund der aktuellen Erkrankung nicht möglich. Es ist dem Kunden nicht möglich, das Haus zu verlassen."

Der Kläger erhob gegen das Einladungsschreiben Widerspruch und bereits am 14.09.2011 beim Sozialgericht München eine "Feststellungs- und Überprüfungsklage" und stellte einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Es sei festzustellen und zu überprüfen, ob die Vorlage eines gesonderten Attests für den Fall des Nichterscheinens verlangt werden dürfe. Es sei zu überprüfen, inwieweit vom Beklagten hier Amtsmissbrauch und Willkür betrieben werde.

Mit Schreiben vom 21.09.2011 teilte der Beklagte dem Sozialgericht im Rahmen des Eilverfahrens (Az. S 52 AS 2411/11 ER) mit, dass er den Meldetermin am 16.09.2011 mit Schreiben ebenfalls vom 21.09.2011 aufgehoben habe. Eine Sanktion erfolgte nicht.

Im Parallelverfahren, der Klage S 52 AS 1725/11 (Berufung L 7 AS 961/11), erklärte der Beklagte mit Schreiben vom 06.09.2011, dass er an der Anforderung eines besonderen Attests für den Fall der Nichtteilnahme an einem Termin aus gesundheitlichen Gründen nicht festhalte.

Mit Gerichtsbescheid vom 21.11.2011 wies das Sozialgericht die Klage ab. Dem Kläger seien vom Beklagten die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die erhobene Fest...

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