Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss bei längerer stationärer Unterbringung. 6-Monats-Zeitraum. Prognoseentscheidung. Aufenthalt in einer Justizvollzugsanstalt mit anschließender Alkoholentwöhnungstherapie. keine Zusammenrechnung. Klinik. Zielrichtung. Zuständigkeitswechsel. Bewährungsauflage
Orientierungssatz
1. Bei einer Justizvollzugsanstalt handelt es sich um eine stationäre Einrichtung iS von § 7 Abs 4 Alt 1 SGB 2.
2. Zeiten der Haft und eines sich unmittelbar anschließenden Aufenthalts in einer Fachklinik zur Alkoholentwöhnung sind bei der Prognoseentscheidung nach § 7 Abs 4 SGB 2 nicht zusammenzurechnen, da es sich um stationäre Aufenthalte mit unterschiedlicher Zielsetzung handelt und insofern ein Sachverhaltswechsel vorliegt. Bei der Prognose ist dann auf den Beginn der Anschlussmaßnahme abzustellen und nicht auf den Beginn der Haft.
Normenkette
SGB II § 7 Abs. 1, 4
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 10.04.2006 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger für die Zeit vom 14.07.2005 bis zum 01.11.2005 ein Anspruch auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zusteht.
Der 1953 geborene Kläger war vom 24.04.2004 bis 07.07.2005 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) K. inhaftiert. Bei seiner Entlassung am 07.07.2005 erhielt er ein Überbrückungsgeld nach § 51 StVollzG in Höhe von 1.138,80 EUR. In einem Beschlusses des OLG M. wurde dem Kläger zur Auflage gemacht, dass er sich unmittelbar nach seiner Entlassung noch am 07.07.2005 in der Fachklinik H. einer stationären Alkoholentwöhnungstherapie zu unterziehen habe. Die Therapiemaßnahme hatte die LVA Schwaben mit Bescheid vom 03.03.2005 als stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation bewilligt. Diese sollte voraussichtlich 16 Wochen dauern. Der Kläger unterzog sich der Therapie vom 07.07. bis 27.10.2005. Mit Schreiben vom 27.10.2005 bestätigte das Fachkrankenhaus H., dass der Kläger sofort arbeitsfähig sei. Ab 02.11.2005 bezog der Kläger Alg II.
Mit Bescheid vom 12.08.2005 bewilligte der Bezirk Schwaben auf Antrag des Klägers vom 05.07.2005 für die Dauer des Aufenthaltes in der Fachklinik H. Leistungen nach dem SGB XII, und zwar erst ab dem 04.08.2005, weil zuvor das bei der Entlassung aus der JVA erhaltene Überbrückungsgeld einzusetzen sei. Mit Schreiben vom 17.08.2005 meldete der Bezirk Schwaben einen Erstattungsanspruch gemäß §§ 102 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bei der Beklagten an.
Noch während der Maßnahme hatte der Kläger am 14.07.2005 bei der Beklagten den Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt. Die Beklagte lehnte diesen mit Bescheid vom selben Tag mit der Begründung ab, die Dauer der Unterbringung in einer stationären Einrichtung habe die in § 7 Abs. 4 SGB II genannte Sechsmonatsfrist überschritten.
Mit seinem Widerspruch vom 04.08.2005 machte der Kläger geltend, die Beklagte habe seinen Aufenthalt in der JVA bei der Berechnung der Sechsmonatsfrist des § 7 Abs. 4 SGB II zu Unrecht angerechnet. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.10.2005 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, sowohl der Haftaufenthalt als auch die stationäre Entwöhnungskur seien vollstationäre Unterbringungen im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II bzw. diesen gleichgestellt. Nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 4 SGB II stelle der Zeitraum von sechs Monaten keine absolute zeitliche Grenze dar, deren Ablauf erst abzuwarten wäre. Aus der Verwendung des Wortes für länger als sechs Monate sei zu schließen, dass eine Prognoseentscheidung zu treffen sei. Bei der Prognoseentscheidung sei auf den Beginn der Einweisung abzustellen. Soweit es sich um mehrere Aufenthalte handele, die lückenlos aneinander anschließen, würden die Teilaufenthalte zu einem Gesamtaufenthalt zusammengezählt.
Zur Begründung seiner am 08.11.2005 zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage berief sich der Kläger im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen. Er habe sein Überbrückungsgeld einsetzen müssen, das eigentlich erst für die Zeit nach der Haftentlassung gedacht gewesen sei. Haft- und Klinikaufenthalt dürften nicht addiert werden; denn § 7 Abs. 4 SGB II schließe Leistungen nach dem Gesetz lediglich für Personen aus, die länger als sechs Monate in einer, nicht aber in zwei stationären Einrichtung untergebracht seien. Eine JVA sei nach Ansicht des SG Nürnberg (Beschluss vom 09.05.2005 - S 20 SO 106/05) keine stationäre Einrichtung im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II.
Die Beklagte vertrat demgegenüber die Ansicht, bei der Prognoseentscheidung dürfe auf Zeiten vor der Antragstellung Bezug genommen werden, weil es sonst der Antragsteller in der Hand hätte, sich durch Zuwarten den für ihn zuständigen Leistungsträger auszusuchen. Das Baye...