Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachzahlung von Sozialleistungen. zeitliche Beschränkung des § 44 Abs 4 S 1 SGB 10 unabhängig von einem evtl Verschulden des zuständigen Sozialversicherungsträgers. Verfassungsmäßigkeit des § 44 Abs 4 S 1 SGB 10
Leitsatz (amtlich)
1. Die zeitliche Beschränkung des § 44 Abs 4 S 1 SGB X für nachzuzahlende Sozialleistungen (hier: Erwerbsminderungsrente) greift unabhängig von der Frage, ob dem zuständigen Sozialversicherungsträger eine Mitverursachung zuzurechnen ist.
2. Die Vorschrift des § 44 Abs 4 S 1 SGB X begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Orientierungssatz
Zum Leitsatz 2 vgl BSG vom 15.12.1982 - GS 2/80 = BSGE 54, 223 = SozR 1300 § 44 Nr 3, vom 23.7.1986 - 1 RA 31/85 = BSGE 60, 158 = SozR 1300 § 44 Nr 23 sowie vom 21.1.1987 - 1 RA 27/86 = SozR 1300 § 44 Nr 25, so auch LSG Darmstadt vom 23.8.2013 - L 5 R 359/12.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 5. Juli 2017 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Nachzahlung einer höheren Rente aufgrund einer Korrektur ihres Rentenbescheides nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) bereits ab Rentenbeginn.
Der 1958 in E. geborenen Klägerin war von der Beklagten mit Bescheid vom 14.06.2005 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab dem 01.10.2004 bewilligt worden. Dabei wurden Zeiten der Berufsausbildung als Textilfachverkäuferin vom 01.09.1974 bis 30.09.1976 zu Grunde gelegt. Im Rentenantrag hatte die Klägerin angegeben, dass die so im Versicherungsverlauf gespeicherten Zeiten vollständig und richtig seien.
Mit Schreiben vom 27.12.2016 beantragte die Klägerin die Berücksichtigung von Zeiten der Berufsausbildung nunmehr für den Zeitraum von September 1973 bis Februar 1976. Sie übersandte dazu einen Lehrvertrag vom 01.02.1973 mit entsprechend ausgewiesener Lehrzeit. Die Beklagte nahm mit Neufeststellungsbescheid vom 12.01.2017 unter Berücksichtigung dieser Lehrzeit ab dem 01.09.1973 eine Neuberechnung der Erwerbsminderungsrente vor. Als Änderung wurde die Zeit vom 01.09.1973 bis 29.02.1976 als Pflichtbeitragszeit/berufliche Ausbildung und die Zeit vom 01.03.1976 bis 31.12.1976 als Pflichtbeitragszeit festgestellt. Die Zeit vom 01.03.1976 bis 30.09.1976 wurde dabei der Qualifikationsgruppe 4 zugeordnet. Für die Zeit vom 01.01.2012 bis 31.12.2016 wurde der Klägerin eine Nachzahlung in Höhe von 1.109,64 EUR gewährt. Die Beklagte führte aus, eine höhere Leistung werde gem. § 44 Abs. 4 SGB X längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme des Bescheides erbracht. Dabei werde der Zeitpunkt der Rücknahme vom Beginn des Jahres an berechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen werde oder der Antrag auf Rücknahme des Bescheides gestellt worden sei.
Dagegen legte die Klägerin am 20.01.2017 Widerspruch ein. Sie sei 1989 aus der damaligen DDR ohne Papiere geflohen und habe keinerlei Nachweise über ihren beruflichen Werdegang gehabt. Erst jetzt habe sie ihren Lehrvertrag in einem alten Buch gefunden. Aufgrund der besonderen Umstände sei eine Ausnahme anzuerkennen. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.03.2017 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen der Nachzahlung seien abschließend in § 44 Abs. 4 SGB X geregelt und rückwirkend auf vier Kalenderjahre begrenzt.
Dagegen hat die Klägerin am 07.04.2017 Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben und sinngemäß beantragt, die Neuberechnung der Rente ab Rentenbeginn zum 01.10.2004 vorzunehmen. Das SG hat die Klage nach vorheriger Anhörung mit Gerichtsbescheid vom 05.07.2017 abgewiesen. Ausgehend von einer im Jahr 2016 erfolgten Antragstellung auf Neuberechnung sei eine rückwirkende Nachzahlung für die Zeit ab Januar 2012 bis zum Beginn der laufenden Zahlung im Januar 2017 möglich, nicht bereits ab Rentenbeginn. Durch die Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X werde eine materielle Anspruchsbeschränkung ausgesprochen, die von Amts wegen zu beachten sei. Die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit dieser Vorschrift sei bereits höchstrichterlich bestätigt worden. Das Gesetz räume auch keine Spielräume für Einzelfallentscheidungen aus Ermessenserwägungen oder für etwaige Härten ein. Sonstige Anspruchsgrundlagen für eine weitergehende Rückzahlung seien nicht gegeben, insbesondere fehle es an einem Verschulden der Beklagten, welches möglicherweise einen weitergehenden sozialrechtlichen Herstellungsanspruch oder einen Folgenbeseitigungsanspruch begründen könnte.
Dagegen hat die Klägerin am 07.08.2017 Berufung eingelegt. Bei ihrer Flucht aus der damaligen DDR habe es sich um einen Ausnahmezustand gehandelt. Die Rentenversicherung A-Stadt hätte bei der Rentenversicherung B-Stadt ohne Weiteres ihre Beitragsjahre erfragen können.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 05.07.2017 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheid...