Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Abrechnungsprüfung. unvorhergesehene Inanspruchnahme des Vertragsarztes durch einen Patienten (GOP 01100 EBM-Ä 2008). Nichtvorliegen der Tatbestandsvoraussetzung bei Inanspruchnahme während eines Bereitschaftsdienstes

 

Leitsatz (amtlich)

Eine unvorhergesehene Inanspruchnahme des Vertragsarztes durch den Patienten liegt nicht vor, wenn der Patient das vom Vertragsarzt vorgehaltene Angebot einer Inanspruchnahme während eines Bereitschaftsdienstes annimmt.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 15.07.2020; Aktenzeichen B 6 KA 13/19 R)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 15.05.2017 aufgehoben und die Klagen werden abgewiesen.

II. Die Kosten der Verfahren trägt die Klägerin.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Im Berufungsverfahren noch streitig ist eine Honorarrückforderung aufgrund nachträglicher sachlich-rechnerischer Berichtigungen der GOP 01100 EBM-Ä für die Quartale 2/2008 bis 2/2011.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte (im Folgenden: Klägerin) ist eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft, Fachrichtung Anästhesiologie. Wegen auffälliger Tagesarbeitszeiten hatte die Beklagte bei der Klägerin mit Schreiben vom 26.05.2011 eine Plausibilitätsprüfung für das Quartal 1/2009 eingeleitet, bei der Abrechnungsauffälligkeiten bei den Gebührenordnungspositionen 05230, 01100 und 01414A EBM-Ä festgestellt wurden. Zu der allein noch streitigen GOP 01100 EBM-Ä wies die Beklagte und Berufungsklägerin (im Folgenden: Beklagte) darauf hin, dass diese Ziffer offensichtlich auch dann abgerechnet worden sei, wenn es sich nicht um eine unvorhergesehene Inanspruchnahme gehandelt habe. Zudem sei die GOP schematisch neben den GOP 05230, 40144 und 01602 EBM-Ä abgerechnet worden. Die Klägerin führte hierzu aus, die GOP 01100 EBM-Ä sei im Rahmen des praxiseigenen Bereitschaftsdienstes an Tagen nach den Eingriffen abgerechnet worden. Die abgerechneten Kontakte würden grundsätzlich zwischen 20:00 Uhr und 6:00 Uhr erfolgen, es würden keine Sprechzeiten zu den in der Leistungslegende angegebenen Zeiten abgehalten. Nicht mit den Sprechzeiten zu verwechseln sei der Bereitschaftsdienst der Praxis, der nicht die Sprechzeiten verlängere. Es bestehe kein Unterschied zur Einzelpraxis, in der der Arzt notfallmäßig zuhause oder mobil erreichbar sei.

Mit Bescheiden vom 13.03.2012 berichtigte die Beklagte die Honorarabrechnungen für die Quartale 2/2008 - 3/2009 (auf die GOP 01100 entfielen 10.913,94 €) sowie 4/2009 - 4/2010 (auf die GOP 01100 entfielen 10.292,14 €). Die Inanspruchnahme sei nicht unvorhergesehen, da die Praxis einen 24-Stunden-Bereitschaftsdienst vorhalte, mit dem auch auf der Internetseite der Klägerin geworben würde. Im Rahmen dieses Notdienstes müsse jeder Vertragsarzt damit rechnen, in Anspruch genommen zu werden.

Mit Bescheiden vom 24.09.2012 berichtigte die KVB die Honorarabrechnungen für die Quartale 1/2011 (109 implausible Ansätze, Rückforderungsquote 97,32 %, 771,25 €) und 2/2011 (57 implausible Ansätze, Rückforderungsquote 96,61 %, 504,11 €). Auch hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein.

Zur Begründung der Widersprüche wurde vorgetragen, der einzige Unterschied zum Landarzt, der selbstverständlich außerhalb der Sprechzeiten bei unvorhergesehener Inanspruchnahme z.B. über seine Privattelefonnummer die GOP 01100 abrechnen könne, sei, dass das Anästhesie Center C., in dem viele Ärzte arbeiteten, die Anrufe auf einen diensthabenden Arzt kanalisiere. Das Vorhalten eines internen Notfallbereitschaftsdienstes über Handy außerhalb der Sprechzeiten gehöre zum Leistungsspektrum der Klägerin. Das ändere aber nichts daran, dass die Inanspruchnahme unvorhergesehen erfolge. Grundsätzlich erhalte der Vertragsarzt die GOP 01100 EBM-Ä stets vergütet, wenn er außerhalb der Sprechstunde und in der Regel auch außerhalb der Praxis zu den in der Leistungslegende genannten Zeiten in Anspruch genommen werde.

Mit Widerspruchsbescheiden vom 25.02.2005 wies die Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 13.03.2012 und 24.09.2012 zurück. Der Ansatz der GOP 01100 EBM-Ä sei implausibel, weil die Inanspruchnahme nicht unvorhergesehen erfolgt sei. Unter Hinweis auf die Entscheidung des Sozialgerichts München vom 24.09.2014 (Az. S 21 KA 1354/14) wurde ausgeführt, unvorhergesehen sei die Inanspruchnahme des Vertragsarztes, wenn dieser zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme nicht damit rechne, vertragsärztliche Leistungen zu erbringen, er also nicht in einer Dienstsituation in Anspruch genommen werde. Diese Dienstsituation könne entweder aufgrund einer Sprechstunde oder aufgrund eines angeboten Notdienstes bestehen oder deshalb, weil der Patient für die Behandlung am Sonntag bestellt war. Anfangs habe auch die Klägerin von einem Bereitschaftsdienst oder einem 24-Stunden-Notdienst gesprochen. Auffällig sei zudem, dass die Abrechnung der GOP 01100 EBM-Ä meistens in Zusammenhang mit den GOP 05230, 40144 und 01602 EBM-Ä und zwar am Tag nach der Operation...

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