Entscheidungsstichwort (Thema)
Bußgeldverfahren. Geldbuße. Fahrverbot. Pflichtenverstoß. grob. Geschwindigkeitsüberschreitung. innerorts. Vorsatz. Freispruch. Rechtsbeschwerde. Staatsanwaltschaft. Sachrüge. Urteilsgründe. Urteilsfeststellungen. lückenhaft. Beweisaufnahme. Messung. Fehlmessung. Geschwindigkeitsmessung. Messvorgang. Messverfahren. standardisiert. Messgerät. Messsystem. Messergebnis. Messbeamter. Messbeamtin. Messprotokoll. PoliScan FM 1. Softwareversion. Bauartzulassung. Konformitätsbescheinigung. Konformitätserklärung. Bedienungsanleitung. technisch. Empfehlung. Gerätehersteller. Plausibilität. Sachverständiger. Einzelfallüberprüfung. Schwenkwinkel. manuell. automatisch. Sollvorschrift. Verwertbarkeit. Annullierungsquote. Falldatei. digital. Zeitangabe. Zweifel
Leitsatz (amtlich)
1. Steht fest, dass die beim Betrieb des Messgeräts zu beachtenden und sich regelmäßig aus der Bedienungsanleitung ergebenden technischen Vorgaben eingehalten wurden, führen bloße Mängel des Messprotokolls nicht dazu, dass nicht mehr vom Vorliegen eines standardisierten Messverfahrens ausgegangen werden kann.
2. Abweichungen von Vorgaben der Bedienungsanleitung des Geräteherstellers vermögen das Vorliegen eines sog. standardisierten Messverfahrens jedenfalls dann nicht in Frage zu stellen, wenn die Möglichkeit einer fehlerhaften Messung ausgeschlossen ist (Fortführung von BayObLG, Beschl. v. 21.11.2022 - 201 ObOWi 1291/22 bei juris = DAR 2023, 223 = ZfSch 2023, 225 = NZV 2023, 271 = BeckRS 2022, 41451).
Normenkette
OWiG § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 1, Abs. 6, § 80a Abs. 1; StPO §§ 261, 353; StVG § 25 Abs. 1, 2a
Verfahrensgang
AG München (Entscheidung vom 15.03.2023) |
Tenor
I. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 15.03.2023 mit den zugehörigen Feststellungen sowie in der Kostenentscheidung aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht München zurückverwiesen.
Gründe
I.
Mit Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle im Bayer. Polizeiverwaltungsamt vom 08.06.2022 wurde gegen den Betroffenen wegen einer am 09.04.2022 begangenen vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 43 km/h eine Geldbuße in Höhe von 800 Euro sowie wegen eines groben Pflichtenverstoßes ein - mit der Vollstreckungserleichterung gemäß § 25 Abs. 2a StVG versehenes - Fahrverbot für die Dauer von einem Monat festgesetzt. Das Amtsgericht hat den Betroffenen aufgrund der Hauptverhandlung vom 15.03.2023 freigesprochen. Die Geschwindigkeitsmessung mit dem Messsystem PoliScan FM 1 sei nicht im Rahmen eines standardisierten Messverfahrens erfolgt, weil das Messprotokoll mangelhaft ausgefüllt war. Bei der Aufstellung des Geräts wurde im Messprotokoll nicht vermerkt, ob die Bestimmung des Schwenkwinkels manuell oder automatisch erfolgt ist. Eine Einzelfallüberprüfung des Messergebnisses durch einen Sachverständigen sei erfolglos geblieben, weil bei der verwendeten Softwareversion 4.4.9 eine Überprüfung der Plausibilität der gemessenen Geschwindigkeit nicht möglich gewesen sei.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde, die sie mit der Verletzung materiellen Rechts rügt.
Die Generalstaatsanwaltschaft München, die das Rechtsmittel vertritt, hat in ihrer Stellungnahme vom 30.09.2023 beantragt, das Urteil des Amtsgerichts München vom 15.03.2023 aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Die Verteidigung hat sich mit Schriftsatz vom 28.02.2024 zur Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft München geäußert.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
1. Die Annahme des Amtsgerichts, wegen des mangelhaft ausgefüllten Messprotokolls habe kein standardisiertes Messverfahren vorgelegen, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil ihr ein zu enges Verständnis vom Begriff des standardisierten Messverfahrens zugrunde liegt.
a) Ein standardisiertes Messverfahren setzt ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren voraus, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGHSt 43, 277). Notwendige Bedingung dafür ist deshalb die Einhaltung der technischen Vorgaben, die beim Betrieb zu beachten sind und sich regelmäßig aus der Bedienungsanleitung ergeben (vgl. nur OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.02.2023 - 2 ORbs 35 Ss 4/23 bei juris = ZfSch 2023, 472 = NStZ 2023, 621 = BeckRS 2023, 3496).
b) Entscheidend für das Vorliegen eines standardisierten Messverfahrens ist somit allein die Einhaltung der technischen Vorgaben, die bei seinem Betrieb zu beachten sind und nicht die korrekte Erstellung ...