Leitsatz (amtlich)
1. Die auf § 474 Abs. 2 und 3 StPO gestützte Bewilligung der Akteneinsicht in die Ermittlungsakten durch die Staatsanwaltschaft für die Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung stellt einen für den Beschuldigten nach § 23 EGGVG anfechtbaren Justizverwaltungsakt auf dem Gebiet der Strafrechtspflege dar.
2. Eine Verletzung des Beschuldigten in eigenen Rechten ist möglich (§ 24 Abs. 1 EGGVG), wenn die Staatsanwaltschaft einem Dritten Auskünfte aus einem Strafverfahren gewährt.
3. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, der Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung Einsicht in die Ermittlungsakten zu bewilligen, ist an § 7 Abs. 1 Sanktionsdurchsetzungsgesetz i.V.m. § 474 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Abs. 3 StPO zu messen. Die Vorschrift von § 474 Abs. 3 StPO ist nach ihrem Wortlaut auch anwendbar, wenn eine spezielle gesetzliche Vorschrift (hier § 7 Abs. 1 SanktDG) lediglich eine Auskunft bestimmt.
4. Die Entscheidung, ob ausnahmsweise Akteneinsicht statt lediglich Auskunft gewährt wird, steht im pflichtgemäßen Ermessen der ersuchten Stelle. Anerkannter Zweck der Vorschrift des § 474 Abs. 3 StPO ist eine Entlastung der Justiz. Von Auswertungen der Ermittlungserkenntnisse auf eine mögliche Relevanz für die Aufgaben anderer öffentlicher Stellen sollen die Ermittlungsbehörden und die Gerichte freigehalten werden. Der Aspekt, dass die ersuchte Stelle nicht verlässlich zu prüfen vermag, welchen Informationen aus den Ermittlungsakten eine Bedeutung für die von der ersuchenden Behörde zeitnah anzustellenden Ermittlungen zukommen könnte, darf bei der Ermessensentscheidung Berücksichtigung finden.
Normenkette
EGGVG §§ 23-24; StPO § 474 Abs. 2-3, § 479; SanktDG § 7
Tenor
1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird auf Kosten des Antragstellers als unbegründet zurückgewiesen.
2. Der Geschäftswert wird auf 5.000,- € festgesetzt.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
4. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist erledigt.
Gründe
A.
Der Antragsteller wendet sich mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Mai 2024, bei Gericht eingegangen am selben Tage, gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft München II in deren Schreiben vom 9. April 2024 und vom 8. Mai 2024, der Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung (im folgenden Zentralstelle) auf deren Ersuchen hin Akteneinsicht in das gegen den Antragsteller wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz geführte Ermittlungsverfahren 70 Js 35806/22 zu gewähren. Er ist im Wesentlichen der Auffassung, dass die Gewährung einer vollumfänglichen Akteneinsicht rechtswidrig wäre, da die Voraussetzungen von § 474 Abs. 3 StPO nicht vorliegen würden. Die Zentralstelle wäre gehalten, ihr Ersuchen näher zu präzisieren. Zudem erschließe sich mit Blick auf den Umfang der Akten und eine zahlenmäßig begrenzte Zitierung des Firmennamens nicht, weshalb eine Zuordnung von Aktenbestandteilen zum Unternehmen B. GmbH für die Staatsanwaltschaft einen unverhältnismäßigen Aufwand darstellen könnte. Er beantragt, die Entscheidung der Staatsanwaltschaft München II aufzuheben, hilfsweise die Staatsanwaltschaft zu verpflichten, über den Antrag der Zentralstelle unter Berücksichtigung der Rechtsansicht des Senats neu zu entscheiden. Mit Schreiben vom 12. Juni 2024 hat der Antragsteller den zunächst ebenfalls gestellten Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz infolge der Erklärung der Generalstaatsanwaltschaft, vor einer Gewährung von Akteneinsicht werde die Entscheidung des Senats abgewartet, für erledigt erklärt.
Ausgangspunkt für die angefochtene Entscheidung der Staatsanwaltschaft war ein Schreiben der Zentralstelle vom 4. Dezember 2023 gerichtet auf Auskunft aus den Akten und Einsicht in das gegen den Antragsteller geführte Ermittlungsverfahren. Zur Begründung hat die ersuchende Behörde ausgeführt, dass sie gegen den im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Beschuldigten ein gefahrenabwehrrechtliches Ermittlungsverfahren gemäß § 1 SanktDG zur Ermittlung von einer Verfügungsbeschränkung unterliegenden Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen führe. Von Interesse seien solche Aktenbestandteile, die Aufschluss über die Struktur von Unternehmen geben würden, die unter die Sanktionsmaßnahme fallende Gelder und wirtschaftliche Ressourcen hielten. In einem weiteren Schreiben vom 20. März 2024 hat die Zentralstelle ihr Ersuchen dahingehend ergänzt, dass sie ein Vermögensermittlungsverfahren nach §§ 1, 12 SanktDG führe. Sie benötige dafür Unterlagen und Erkenntnisse, aus denen sich eine Zuordnung des Unternehmens B. GmbH und der an diesem beteiligten weiteren Firmen zum Beschuldigten ergäben. Nach der Aufnahme des Beschuldigten in den Anhang I der VO (EU) 269/2014 am 28. Februar 2022 unterlägen nach Art. 2 Abs 1 der genannten VO (EU) sämtliche Vermögenswerte, die im Eigentum oder Besitz des Beschuldigten stünden oder von ihm gehalten oder kontrolliert würden, einem Verfügungsverbot. Die durchgeführten Ermittlungen der Zentralstelle hätten hinreichende Anhaltspunkte da...