Entscheidungsstichwort (Thema)

Erbscheinsverfahren

 

Leitsatz (redaktionell)

Besteht Anlaß an der Testierfähigkeit des Erblassers zu zweifeln, so hat das Nachlaßgericht oder das an seine Stelle tretende Beschwerdegericht im Erbscheinsverfahren den Sachverhalt ohne Bindung an den Vortrag der Beteiligten von Amts wegen aufzuklären.

 

Normenkette

BGB § 235 Abs. 1; FGG § 12

 

Verfahrensgang

LG München I (Beschluss vom 13.07.1995; Aktenzeichen 16 T 2274/95)

AG München (Aktenzeichen 66 VI 5553/94)

 

Tenor

Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 wird der Beschluß des Landgerichts München I vom 13. Juli 1995 aufgehoben. Die Sache wird zu anderer Behandlung und neuer Entscheidung an das Landgericht München I zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I.

Der 1994 im Alter von 93 Jahren verstorbene Erblasser war verwitwet. Seine Ehefrau ist 1987 vorverstorben. Der 1929 geborene Beteiligte zu 1 ist ein Kind der Ehefrau aus einer vorehelichen Beziehung; er ist mit der Beteiligten zu 2 verheiratet. Der Beteiligte zu 3 ist im Jahr 1932 von der Ehefrau des Erblassers nichtehelich geboren worden. Der Erblasser hat 1933 die Vaterschaft anerkannt und 1934 die Ehe mit der Mutter geschlossen. Die Beteiligten zu 4 und 5 sind die Töchter des Beteiligten zu 3. Der Nachlaß besteht im wesentlichen aus einem Hausgrundstück.

Der Erblasser hat am 15.12.1965 zusammen mit seiner Ehefrau ein notarielles gemeinschaftliches Testament errichtet. Darin haben sich die Eheleute gegenseitig zu alleinigen und ausschließlichen Erben eingesetzt. Ferner haben sie bestimmt, daß es „beim Tod des Längerlebenden der Ehegatten … bei der gesetzlichen Erbfolge sein Bewenden haben” solle. Am 2.10.1981 hat der Erblasser einen eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen „Nachtrag zum Testament vom 15.12.1965” verfaßt, der von seiner Ehefrau mit dem handschriftlichen Zusatz „Die ist mein Wiele” versehen und unterschrieben ist und auszugsweise wie folgt lautet:

Nachdem sich unser Sohn F. (Beteiligter zu 3) … seit über zwei Jahren nicht um uns kümmert bin ich gezwungen ihn zu enterben …

(Der Erblasser schildert sodann ein Zerwürfnis mit der Familie des Beteiligten zu 3, erwähnt einen Aufenthalt seiner Ehefrau in einem Nervenkrankenhaus und fährt fort:)

Vom Gesundheitsamt wurde ihr (d.h. der Ehefrau) Sohn H. (Beteiligter zu 1) … als Pfleger bestellt. Er kümmert sich mit seiner Frau … (Beteiligte zu 2) sehr um sie und auch um mich. Deshalb ist mein Wunsch, daß beide alles erben, unter der Bedingung, daß nichts verkauft wird, sondern daß später eines der beiden Mädchen (Beteiligte zu 4 und 5), Töchter von F. zu übergeben. …

Da sich unser Sohn F. (Beteiligter zu 3) weder an meinem 80. Geburtstag … noch am 74. Geburtstag … seiner Mutter nicht sehen bez.weise nichts hören hat lassen, wissen wir beide, daß sie kein Interesse mehr an uns haben. Infolgedessen wollen wir sie enterben …”

Ferner befinden sich bei den Akten zwei vom Erblasser handschriftlich verfaßte Schriftstücke im wesentlichen gleichen Inhalts, die auf den 25.5.1987 datiert sind. Eines der Schriftstücke ist mit „Schenkungsurkunde” überschrieben, das andere trägt keine Überschrift, jedoch am Schluß den Vermerk „2. Nachtrag von 15.12.65”. Darin beklagt sich der Erblasser darüber, daß sich die Beteiligten zu 3 bis 5 nicht mehr um ihn und seine Ehefrau kümmerten und fährt dann fort:

H. und seine Frau (Beteiligte zu 1 und 2) kümmern sich immer um uns obwohl sie weit weg sind. Deshalb schenken wir alles unser Haus mit allem beiden. Unser Nachtrag vom 30. Sept. 81 ist damit hinfällig.

Schenkungsurkunde von mir und meiner Frau

gez. (Namen des Erblassers und seiner Frau).

Der Name der Ehefrau ist vom Erblasser selbst geschrieben. Die Schriftstücke befanden sich in einem mit „2. Nachtrag vom Testament 15.12.65 von (Namen des Erblassers und seiner Ehefrau)” gekennzeichneten Umschlag.

Die Beteiligten zu 1 und 2 haben einen Erbschein beantragt, der sie als Alleinerben zu je 1/2 ausweisen soll. Sie stützen sich dabei auf das Testament vom 2.10.1981. Darin sei zwar auch zugunsten der Beteiligten zu 4 und 5 Nacherbfolge angeordnet, jedoch sei diese Anordnung unwirksam, weil nicht bestimmt sei, ob die Beteiligte zu 4 oder die Beteiligte zu 5 Nacherbin werden solle.

Das Nachlaßgericht hat mit Vorbescheid vom 8.12.1994 die Erteilung eines entsprechenden Erbscheins angekündigt. Hiergegen haben die Beteiligten zu 3 bis 5 Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat mit Beschluß vom 13.7.1995 die Beschwerde des Beteiligten zu 3 verworfen sowie auf die Beschwerden der Beteiligten zu 4 und 5 den Vorbescheid aufgehoben und die Sache zu anderweitiger Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2. Die Beteiligten zu 4 und 5 sind dem Rechtsmittel entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

II.

1. Das Rechtsmittel ist zulässig. Gegen die Entscheidung des Landgerichts ist die weitere Beschwerde gegeben mit dem Ziel, die Aufhebung des Vorbescheids zu beseitigen und dadurch die E...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge