Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachlaß. Erbscheinseinziehung. Testament
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Nichtigkeitsgrund des Sittenverstosses (§ 138 Abs. 1 BGB) kann aber nur zurückhaltend angewandt werden. Er berechtigt den Richter nicht, die Auswirkungen einer vom Erblasser getroffenen letztwilligen Verfügung an seinen eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen zu messen und den Willen des Erblassers danach zu korrigieren. Sittenwidrigkeit und damit Nichtigkeit der letztwilligen Verfügung kann daher nur in besonders hervorstechenden Ausnahmefällen angenommen werden.
2. Allein aus der Tatsache, daß nahe Angehörige in dem Testament übergangen wurden, kann nicht auf dessen Sittenwidrigkeit geschlossen werden.
Normenkette
BGB § 138 Abs. 1
Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 10.04.1986; Aktenzeichen 16 T 9134/84) |
AG München (Beschluss vom 31.05.1983; Aktenzeichen 94 VI 10904/82) |
Tenor
I. Der Beschluß des Landgerichts München I vom 10. April 1986 wird aufgehoben.
II. Die Beschwerden der Beteiligten zu 1 und des Beteiligten zu 2 gegen den Beschluß des Amtsgerichts München vom 31. Mai 1983 werden zurückgewiesen.
III. Die Beteiligte zu 1 und der Beteiligte zu 2 haben die dem Beteiligten zu 3 im Beschwerdeverfahren und im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.
IV. Der Geschäftswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird vorläufig auf 150 000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
1. Am 13.11.1982 verstarb im Alter von … Jahren der frühere Verwaltungsangestellte … (Erblasser). Er war mit der Beteiligten zu 1 seit 19.1.1957 verheiratet und wohnte zuletzt in …. Aus der Ehe ist der am 2.8.1957 geborene Beteiligte zu 2 hervorgegangen. Der am 21.2.1933 geborene Beteiligte zu 3 war der Freund und Reisegefährte des Erblassers.
Am 19.2.1981 hatte der Erblasser ein eigenhändig geschriebenes und unterschriebenes Testament mit folgendem Wortlaut errichtet:
„Ich bestimme ich, daß mein Vermögen folgendermaßen aufgeteilt wird
Herr … geb. 21.2.1933 erhält die 50 % meines Anteils an der … Ferner bekommt er das Guthaben bei der Bayer Vereinsbank Konto Nr. … sowie die Aktien im Depot von obiger Bank.
Weiterhin erhält er das gesamte Vermögen bei der Volksbank …, Konten Nr. … auf welches noch mein Krankenhaus-Tagegeld pro Tag ca. DM 300 – eingeht, sowie auch das Konto Nr. …
Meinen Mercedes Wagen …
Ferner die Anteile von den Häusern der Frau … je 1/3 = 33 1/3 %.
… Das Testament von Frau … ist bei einem Notar hinterlegt.
Mein Sohn … erhält meinen VW Käfer … meine sämtlichen Gold-Feuerzeuge in meinem Kirschbaum Schrank, sowie die Certina Armband Uhr auch im obigen Kasten. Meine ganze Foto Ausrüstung sowie sämtliche Objektive, & auch meine Leica CL & sämtliche Blitz-Geräte & den Christus, wie auch den Hlg. Geist, & Farbfernseher bekommt auch Herr …
…, 19. Februar 1981
Ferner liegt ein vom Erblasser eigenhändig geschriebenes und unterschriebenes Schriftstück vom 2.11.1982 vor, das wie folgt lautet:
„Herr … ist berechtigt mit meinen Ersatzschlüsseln jederzeit mein Zimmer in der … zu betreten und auch die Wagenschlüssel für den Mercedes … sowie den Wagen selbst mitzunehmen. Die Zulassungs Papiere befinden sich im Handschuhfach. Herr … ist auch noch berechtigt nach meinem Tode mein Zimmer zu betreten & den Wagen auf seinen Namen umzuschreiben zu lassen.
… 2.11.1982
Der Nachlaß besteht im wesentlichen aus dem Hälfteanteil an dem Hausgrundstück in …, … im Wert von etwa 300 000 DM. Der Wert des Gesamtnachlasses beträgt etwa 410 000 DM. Dabei sind die in der letztwilligen Verfügung vom 19.2.1981 erwähnten Drittelanteile an Grundstücken aus dem Nachlaß von … nicht berücksichtigt. Diese können vom Erblasser nur aufgrund Testaments erworben worden sein, dessen Wirksamkeit Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens ist (AG München, Aktenzeichen 91 VI 4973/82).
2. Der Beteiligte zu 3 beantragte, ihm einen Erbschein zu erteilen, wonach der Erblasser von ihm allein beerbt worden ist. Die Beteiligte zu 1 und der Beteiligte zu 2 traten diesem Antrag entgegen. Sie halten das Testament vom 19.2.1981 wegen Sittenwidrigkeit für nichtig: Der Erblasser habe dem Beteiligten zu 3 im wesentlichen sein gesamtes Vermögen zugewendet, ihn somit als Alleinerben eingesetzt. Seine Ehefrau und sein einziges Kind habe er in grober Weise zurückgesetzt. Der Beteiligte zu 3 sei ein Freund des Erblassers gewesen und habe ihn bei seinen zahlreichen Weltreisen begleitet. Dabei sei es dem Erblasser in erster Linie um sexuelle Abenteuer gegangen. Das Hausgrundstück in …, habe die Beteiligte zu 1 im Jahre 1955 aus eigenen Mitteln erworben. Ein Hälfteanteil sei lediglich wegen der bevorstehenden Heirat auf den Erblasser überschrieben worden. … habe den Erblasser sowie die Beteiligte zu 1 und den Beteiligten zu 2 in einem Testament vom 1.8.1975 zu ihren Erben eingesetzt. Grund hierfür sei gewesen, daß sich die Beteiligte zu 1 jahrelang um sie gekümmert habe. Der Erblasser habe seit seiner Erwerbsunfähigkeit zum Unterhalt der Familie lediglich 240 DM monatlich beigetragen.
Mit Besc...