Leitsatz (amtlich)
1. Rechtsanwälte, die sich schwerpunktmäßig am Sitz des zuständigen Gerichts mit Vergabesachen befassen, müssen organisatorisch zuverlässig sicherstellen, dass die Fax-Nummer des betreffenden Gerichts in einem Verzeichnis ihrer Kanzlei zugriffsbereit vorliegt und dieses von den Mitarbeitern auch benutzt wird.
2. Wirksamkeit eines Beschlusses der Vergabekammer Südbayern, der nur von deren Vorsitzenden, nicht aber auch von (haupt- und ehrenamtlichen) Beisitzern unterschrieben ist (Fortführung v. BayObLG, Beschl. v. 1.10.2001 – Verg 6/01, VergabeR 2002, 63).
3. Zur Gleichwertigkeit von Nebenangeboten im Straßenbau.
4. Schreibt die Vergabestelle die Decken- und Tragschichten für den Bau einer Bundesfernstraße nach Einheitspreisen aus, stellt es grundsätzlich keinen Wertungsfehler dar, wenn sie ein Pauschalpreis-Nebenangebot mit der Erwägung ausschließt, dieses werde bei Ausnutzung zulässiger Toleranzen nach ZTVT-StB 95/98 und ZTV Asphalt-StB 94/98 teurer als die im Hauptangebot vorgesehene Abrechnung nach Einheitspreisen.
Normenkette
GWB §§ 111-112, 117, 120 Abs. 2; ZPO § 233; VOB/A § 5 Nr. 1, § 21 Nr. 2, § 25 Nr. 3, § 5
Verfahrensgang
Vergabekammer Südbayern (Beschluss vom 30.08.2002; Aktenzeichen 120.3-3194.1-29-07/02) |
Tenor
I. Der Antragstellerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist bewilligt.
II. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 30.8.2002 wird zurückgewiesen.
III. Auf die sofortigen Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen wird der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 30.8.2002 aufgehoben.
IV. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird abgewiesen.
V. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und des Beschwerdeverfahrens einschl. der Kosten des Verfahrens nach § 118 GWB sowie der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen zu tragen.
VI. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Beigeladene im Verfahren vor der Vergabekammer wird für notwendig erklärt.
VII. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.076.484 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Autobahndirektion S. als Vergabestelle schrieb für die Antragsgegnerin im Offenen Verfahren Europaweit die Bauleistung „Erd- und Deckenlos von Bau-km 79+950 bis 90+000” für den Neubau einer Bundesautobahn aus. Die Antragstellerin und die Beigeladene beteiligten sich als Bieter. Als Kriterien für die Auftragserteilung bei Haupt- und zugelassenen Nebenangeboten/Änderungsvorschlägen waren Preis, Fristen, Vergütungsbedingungen und Wirtschaftlichkeit vorgegeben. Bei der Submission am 8.1.2002 lagen zehn Angebote vor, darunter das der Antragstellerin und der Beigeladenen. Nach der rechnerischen Prüfung der Angebote ohne Berücksichtigung von Nebenangeboten und Preisnachlässen lag das Angebot der Antragstellerin an erster, das der Beigeladenen an dritter Stelle. Das Angebot der Antragstellerin umfasst neben einem Preisnachlass (1 %) fünf Nebenangebote, das der Beigeladenen neben einem Preisnachlass (3,5 %) elf Nebenangebote. Die Antragsgegnerin will die Nebenangebote 6, 7, 8, 9 und 10 der Beigeladenen berücksichtigen und dieser als der günstigsten Bieterin auf die Bruttoangebotssumme von 22.130.214,49 Euro den Zuschlag erteilen. Die Antragstellerin, deren Nebenangebote nach Wertung nicht berücksichtigt werden sollen, ist mit einer Bruttoangebotssumme von 22.541.460,85 Euro nun zweitplaziert. Sie hat auf die Information nach § 13 VgV bei der Vergabekammer einen Nachprüfungsantrag gestellt mit dem Ziel, die Vergabestelle anzuweisen, der Bieterin mit dem wirtschaftlich günstigsten Angebot den Zuschlag zu erteilen. Sie ist im Wesentlichen der Auffassung, ihre fünf Nebenangebote seien zu Unrecht unberücksichtigt geblieben, während die Nebenangebote 6 bis 10 der Beigeladenen rechtswidrig berücksichtigt worden seien. Bei sachgerechter Wertung sei sie die günstigste Bieterin.
Die Vergabekammer hat nach mündlicher Verhandlung am 7.8.2002 und unter Schriftsatznachlass bis 23.8.2002 mit Beschluss vom 30.8.2002 entschieden, dass das Nebenangebot 4 der Antragstellerin und das Nebenangebot 10 der Beigeladenen unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu werten sowie das Nebenangebot 9 der Beigeladenen auszuschließen sei. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt:
Nebenangebote der Antragstellerin:
Die Nebenangebote 1 und 2 zur Pauschalierung von Positionen für die Tragschichten und den Deckenbau seien bei theoretischer Ausnutzung zulässiger Toleranzen unwirtschaftlicher als das Hauptangebot mit der dort vorgesehenen Abrechnung entspr. der ZTVT-StB 95 i.d.F. von 1998 (Tragschichten) und der ZTV Asphalt-StB 94 i.d.F. von 1998 (Deckschichten).
Das Nebenangebot 3 (alternative Herstellung der Frostschutzschicht durch Hochofenstückschlacke) sei insb. wegen der ungeklärten Frage der Umweltverträglichkeit nicht hinreichend prüffähig.
Das Nebenangebot 4 sei neu zu wer...