Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahren. Verfahrensbeschleunigung. Verteidigung. Verteidiger. Verteidigungsinteresse. fair. Fürsorgepflicht. Termin. Terminierung. Ablehnung. Terminsverlegung. Verhinderung. Geschäftsbelastung. Ermessen. Ermessensfehler
Leitsatz (amtlich)
1. Auch in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren hat der Betroffene grundsätzlich das Recht, sich durch einen Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Dieses Recht ist nicht auf die Fälle notwendiger Verteidigung beschränkt.
2. Die Ablehnung einer Terminsverlegung wegen Verhinderung des Verteidigers ist beim Vorliegen einer nicht ganz einfachen Sach- und Rechtslage nicht frei von Ermessensfehlern, wenn sie im Hinblick auf die Geschäftsbelastung des Gerichts damit begründet wird, die Verlegung um wenige Wochen sei inakzeptabel.
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 3; StPO §§ 137, 228 Abs. 2; OWiG § 71 Abs. 1, § 46 Abs. 1
Tenor
Gründe
I.
Mit Bußgeldbescheid vom 18.11.2019 wurde gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h am 03.07.2019 eine Geldbuße von 120 Euro festgesetzt und ein mit der Vollstreckungserleichterung nach § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot für die Dauer eines Monats angeordnet. Nach Einspruch des Betroffenen bestimmte das Amtsgericht mit Verfügung vom 30.01.2020 Termin zur Hauptverhandlung für Montag, den 27.04.2020. Wegen der Corona-Pandemie wurde der Termin nach Rücksprache mit dem Verteidiger mit Verfügung vom 21.04.2020 auf Montag, den 29.06.2020 verlegt. Mit Schriftsatz vom 29.06.2020 beantragte der Verteidiger wegen Erkrankung des Betroffenen unter Vorlage eines ärztlichen Attests die Verlegung des Hauptverhandlungstermins. Mit Verfügung vom 29.06.2020 wurde der Termin aufgehoben und mit Verfügung vom 07.07.2020 bestimmte die Tatrichterin den Hauptverhandlungstermin auf Montag, den 17.08.2020. Mit Schriftsatz vom 05.08.2020 beantragte der Verteidiger die Verlegung des Termins vom 17.08.2020, da sein Sohn verstorben sei. Das Amtsgericht lehnte diesen Antrag mit Beschluss vom 06.08.2020 ab, u.a. mit der Begründung, infolge Austerminierung bzw. Urlaubszeiten könne "vermutlich erst im späten Q3/ in Q4 verhandelt werden" , was inakzeptabel sei. Das Amtsgericht hat den ohne Verteidiger in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen mit Urteil vom 17.08.2020 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h, begangen am 03.07.2019, zu einer Geldbuße in Höhe von 500 Euro verurteilt sowie ein mit der Vollstreckungserleichterung nach § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot für die Dauer eines Monats verhängt. Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er beanstandet insbesondere, dass das Amtsgericht die Terminsverlegung zu Unrecht abgelehnt und den Betroffenen unverteidigt zu einer deutlich erhöhten Geldbuße verurteilt habe. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Antragsschrift vom 02.11.2020 beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Dazu hat sich der Verteidiger mit Schriftsatz vom 03.11.2020, eingegangen am 02.12.2020, geäußert.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat (vorläufig) Erfolg. Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund der zulässig erhobenen Verfahrensrüge der Verletzung der gerichtlichen Fürsorgepflicht und des Anspruchs auf ein faires Verfahren begründet, denn sie zeigt auf, dass das Verlegungsgesuch durch den Beschluss vom 06.08.2020 nicht mit einer ermessenfehlerfreien Begründung abgelehnt wurde. Auf die Sachrüge kommt es deshalb nicht mehr an.
1. Auch in einem Bußgeldverfahren hat der Betroffene regelmäßig das Recht, sich durch einen Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Diese Gewährleistung ist Ausdruck seines von Art. 20 Abs. 3 GG geschützten Anspruchs auf ein faires Verfahren (OLG Brandenburg, Beschl. v. 30.05.2005 - 1 Ss [OWi] 82B/05 bei juris; OLG Köln, Beschl. v. 22.10.2004 - 8 Ss-OWi 48/04 bei juris; BayObLG, Beschl. v. 31.10.2001 - 1 ObOWi 433/01 bei juris). Die Terminierung ist zwar Sache des Vorsitzenden. Der Vorsitzende ist aber gehalten, über Terminsverlegungsanträge nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu entscheiden ( OLG Bamberg, Beschl. v. 04.03.2011 - 2 Ss OWi 209/11 bei juris). In die Abwägung einzustellen sind insbesondere die Bedeutung der Sache, die Lage des Verfahrens bei Eintritt des Verhinderungsfalles, der Anlass, die Voraussehbarkeit und die voraussichtliche Dauer der Verhinderung, die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage und damit zusamme...