Leitsatz (amtlich)
1. Ein Verweisungsbeschluss, der auf einem offensichtlichen Sachverhaltsirrtum beruht, entfaltet keine Bindungswirkung.
2. Eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO setzt grundsätzlich voraus, dass eines der Gerichte, die sich für unzuständig erklärt haben, tatsächlich zuständig ist.
Normenkette
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, § 38 Abs. 1, § 281 Abs. 2
Verfahrensgang
AG München (Aktenzeichen 251 C 25492/02) |
AG Berlin-Pankow/Weißensee (Aktenzeichen 102 C 461/02) |
Tenor
I. Die Bestimmung des zuständigen Gerichts wird abgelehnt.
II. Die Akten werden dem AG Pankow/Weißensee zurückgegeben.
Gründe
I. Die Klägerin macht eine Hauptsacheforderung von 1.712,91 Euro gegen eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts und deren Gesellschafter aus einem Mietvertrag über eine Meldestelle eines automatischen Wahl- und Übertragungssystems geltend, der zwischen der Berliner Zweigniederlassung einer AG als Vermieterin und einer GmbH als Mieterin am 6.12.1996 zu rückseitig abgedruckten „Allgemeinen Bedingungen” abgeschlossen worden war. In den „Allgemeinen Bedingungen” war eine Gerichtsstandsklausel enthalten, nach welcher „Gerichtsstand, wenn der Mieter Vollkaufmann ist, der Sitz der Zweigniederlassung” der AG sein sollte. Die Klägerin behauptet, dass ihr die Forderung aus diesem Mietvertrag durch die AG am 30.9.1998 abgetreten worden sei. Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts war im Jahre 2000 – mit Zustimmung der Klägerin – anstelle der GmbH in den Mietvertrag eingetreten.
In den das Verfahren einleitenden Mahnbescheiden war als für ein streitiges Verfahren zuständiges Gericht das AG München benannt. An dieses gab das Mahngericht die Verfahren nach Widerspruch der Beklagten ab. Die Klägerin beantragte beim AG München die Verweisung des Rechtsstreits „an das gem. §§ 38 Abs. 1, 40 Abs. 2 ZPO zuständige AG Berlin-Pankow/Weißensee”. Nachdem die Beklagten die örtliche Zuständigkeit des AG München gerügt und bestritten hatten, dass die „Allgemeinen Bedingungen” Vertragsbestandteil geworden seien, verwies das AG München mit Beschl. v. 4.10.2002 den Rechtsstreit an das AG Berlin-Pankow/Weißensee. Das AG Pankow/Weißensee wies die Parteien mit Beschl. v. 23.10.2002 darauf hin, dass für den „Sitz” der Gesellschaft bürgerlichen Rechts das AG (Berlin) Köpenick zuständig wäre, gem. der Gerichtsstandsklausel in den „Allgemeinen Bedingungen” des Vertrages vom 6.12.1996 das AG (Berlin) Charlottenburg, in dessen Bezirk die Zweigniederlassung der AG zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses lag. Die Klägerin beantragte mit Schriftsatz vom 29.10.2002, den Rechtsstreit an das AG Köpenick zu verweisen. Das AG Pankow/Weißensee erklärte sich mit Beschl. v. 14.11.2002 für örtlich unzuständig und legte „die Sache zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits dem OLG München vor”. Das OLG München hat sie an das BayObLG weitergeleitet.
II. 1. Das BayObLG ist das nach § 36 Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO zuständige Gericht.
2. Ein Fall des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegt jedoch nicht vor, weil diese Bestimmung grundsätzlich voraussetzt, dass eines der Gerichte, die sich für unzuständig erklärt haben, tatsächlich zuständig ist (BGH, Beschl. v. 10.8.1994 – X ARZ 689/94, MDR 1995, 632 = NJW 1995, 534; BayObLG v. 10.8.1999 – 4 Z AR 24/99, NJW-RR 2000, 67; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 36 Rz. 27). Hier ist keines der Gerichte, die sich für unzuständig erklärt haben, das wirklich zuständige Gericht; als solches kommen nur die Berliner AG Köpenick oder Charlottenburg in Betracht.
Eine Zuständigkeit des AG Pankow/Weißensee ist auch nicht durch bindende Verweisung begründet worden (§ 281 Abs. 2 S. 4 ZPO). Ein Verweisungsbeschluss, der auf einem offensichtlichen Sachverhaltsirrtum beruht, wie hier – das AG München hielt offensichtlich das AG Pankow/Weißensee für das für den Sitz der Zweigniederlassung der AG zuständige Gericht; tatsächlich ist dies das AG Charlottenburg –, entfaltet keine Bindungswirkung (BAG v. 11.11.1996 – 5 AS 12/96, NJW 1997, 1091 [1092]; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 36 Rz. 28).
Ein am Zuständigkeitsstreit nicht beteiligtes drittes Gericht, das sich noch nicht rechtskräftig für unzuständig erklärt hat, kann nur dann bestimmt werden, wenn es ausschließlich zuständig ist, den Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör gewährt und ein nach § 281 Abs. 1 ZPO erforderlicher Verweisungsantrag gestellt worden ist (BGHZ 71, 69 [75] = MDR 1978, 650; v. 24.7.1996 – X ARZ 778/96, MDR 1997, 91 = NJW 1996, 3013 f.; Beschl. v. 10.8.1994 – X ARZ 689/94, MDR 1995, 632 = NJW 1995, 534; BayObLG v. 10.8.1999 – 4 Z AR 24/99, NJW-RR 2000, 67; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 36 Rz. 27).
Dieser Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Es kann dahinstehen, ob die Gerichtsstandsklausel so zu verstehen ist, dass das für die Zweigniederlassung der AG zuständige Gericht ausschließlich zuständig sein sollte. Jedenfalls liegt kein Verweisungsantrag an das für die Zweigniederlassung der AG zuständige AG Charlottenburg vor.
Für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts durch den ...