Entscheidungsstichwort (Thema)

Abschiebungshaftsache

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat ein noch nicht 16 Jahre alter und damit handlungsunfähiger Ausländer beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ohne Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters einen Asylantrag gestellt, beginnt die Frist des § 14 Abs. 4 Satz 3 AsylVfG erst mit der Genehmigung des Antrags durch den gesetzlichen Vertreter oder durch den inzwischen handlungsfähig gewordenen Betroffenen.

2. Dem Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen kommt besonderes Gewicht zu, wenn ein minderjähriger Ausländer in Abschiebungshaft genommen wird.

 

Normenkette

AsylVfG § 12 Abs. 1, § 14 Abs. 4 S.z 3; AuslG § 57

 

Verfahrensgang

LG Landshut (Urteil vom 20.06.2000; Aktenzeichen 60 T 1521/00)

AG Erding (Urteil vom 25.05.2000; Aktenzeichen XIV B 76/2000)

 

Tenor

I. Der Beschluß des Landgerichts Landshut vom 20. Juni 2000 wird aufgehoben.

II. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht Landshut zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Die Ausländerbehörde betreibt die Abschiebung des Betroffenen, eines kamerunischen Staatsangehörigen.

Nachdem dieser sich vom 13.4. bis 25.5.2000 zunächst in Vorbereitungshaft befunden hatte, ordnete das Amtsgericht gegen ihn mit Beschluß vom 25.5.2000 mit sofortiger Wirksamkeit Sicherungshaft auf die Dauer von drei Monaten an.

Die vom Betroffenen hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht am 20.6.2000 zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluß wendet sich der Betroffene mit der sofortigen weiteren Beschwerde.

II.

1. Das Rechtsmittel ist zulässig. Insbesondere hatte sich nicht wegen des vom Betroffenen gestellten Asylantrags die Hauptsache erledigt.

Stellt der Ausländer – wie hier – einen (ersten) Asylantrag aus der Vorbereitungshaft heraus, endet die Abschiebungshaft kraft Gesetzes mit der Zustellung der Entscheidung des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, spätestens jedoch vier Wochen nach Eingang des Asylantrags beim Bundesamt, es sei denn, der Asylantrag wurde als unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet abgelehnt (§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3, Satz 3 AsylVfG).

Der Bescheid des Bundesamts vom 14.6.2000, mit dem der Asylantrag des Betroffenen als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, ist innerhalb dieser Frist ergangen. Er wurde dem Betroffenen am 18.6.2000 zugestellt. Als Tag des „Eingangs des Asylantrags” beim Bundesamt im Sinne des § 14 Abs. 4 Satz 3 AsylVfG ist der 24.5.2000 anzusehen. Die Abschiebungshaft ist daher nicht kraft Gesetzes beendet.

Zwar hat der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen bereits mit Schriftsatz vom 27.4.2000, beim Bundesamt eingegangen am 28.4.2000, ein Asylgesuch eingereicht. Für den Beginn der Frist des § 14 Abs. 4 Satz 3 AsylVfG kann jedoch nicht auf diesen Zeitpunkt abgestellt werden. Denn diese Vorschrift setzt nach ihrem Wortlaut sowie nach ihrem Sinn und Zweck voraus, daß das Bundesamt während der Frist wenigstens die gesetzliche Befugnis hat, über den gestellten Antrag zu befinden. Das war hier nicht der Fall. Der am 2.10.1984 geborene Betroffene war im Zeitpunkt der Antragstellung erst 15 Jahre alt und damit nicht handlungsfähig (§ 12 Abs. 1 AsylVfG). Das Bundesamt durfte daher im Hinblick auf die amtliche Fürsorgepflicht über die Begründetheit des Antrags nicht entscheiden, solange die Frage der Vertretung des Betroffenen nicht geklärt war (vgl. Funke-Kaiser in GK-AsylVfG § 12 Rn. 18 f.; Renner AuslR 7. Auf1. § 12 AsylVfG Rn. 8).

Die von dem zwischenzeitlich bestellten Vormund mit Schreiben vom 23.5.2000 abgegebene und dem Bundesamt am 24.5.2000 zugegangene Erklärung, „der am 27.4.2000 … gestellte Asylantrag” werde „bestätigt und erneut vorgelegt”, hat die dem Bundesamt für eine eventuelle Ablehnung des Antrags als offensichtlich unbegründet eingeräumte Vierwochenfrist nicht rückwirkend in Lauf gesetzt. Dies folgt aus dem Sinn und Zweck der Regelung des § 14 Abs. 4 AsylVfG, einem Mißbrauch des Asylrechts entgegenzuwirken (vgl. BT-Drucks. 13/3331 S. 1; 13/4948 S. 10 f.). Das genannte Ziel ließe sich nicht erreichen, würde man der Genehmigung rückwirkende Bedeutung für den Fristablauf zuerkennen. Denn dann wäre die Frist häufig bereits im Zeitpunkt der Genehmigung abgelaufen, ohne daß das Bundesamt überhaupt Gelegenheit zu einer Entscheidung gehabt hätte. Ein noch nicht 16-jähriger Ausländer könnte also eine Beendigung der Abschiebungshaft allein dadurch herbeiführen, daß er den wegen seiner Handlungsunfähigkeit und damit wegen eines in seiner Sphäre liegenden Umstanda unwirksamen Asylantrag zwar stellt, aber erst nach Ablauf von vier Wochen nach Eingang des Antrags beim Bundesamt durch seinen gesetzlichen Vertreter genehmigen läßt oder, falls inzwischen 16 Jahre alt, selbst genehmigt.

2. Die sofortige weitere Beschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

a) Zwar hat das Landgericht ohne Rechtsfehler den Haftgrund des § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG bejaht, da der Betrof...

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