Entscheidungsstichwort (Thema)
Testamentsauslegung
Leitsatz (redaktionell)
Bei der Auslegung eines Testaments ist der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (§ 133 BGB). Es geht um die Frage, was der Erblasser mit seinen Worten sagen wollte. Maßgebend ist der Erblasserwille im Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Zu seiner Ermittlung muß der gesamte Inhalt der Erklärungen des Erblassers einschließlich der Nebenumstände, auch solcher, die außerhalb der Testamentsurkunde liegen, gewürdigt werden. Kann sich der Richter trotz Auswertung aller Umstände von dem wirklichen Willen des Erblassers nicht überzeugen, muß er sich notfalls mit dem Sinn begnügen, der dem Erblasserwillen mutmaßlich am ehesten entspricht, wobei auch Auslegungsregeln eingreifen können.
Normenkette
BGB § 133
Verfahrensgang
LG München II (Beschluss vom 17.06.1999; Aktenzeichen 8 T 3515/98) |
AG Ebersberg (Aktenzeichen VI 274/66) |
Tenor
I. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluß des Landgerichts München II vom 17. Juni 1999 wird zurückgewiesen.
II. Der Beteiligte zu 1 hat der Beteiligten zu 2 die im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I.
Der Erblasser hat sechs Kinder hinterlassen, die Töchter … (Beteiligte zu 3), … (Beteiligte zu 4) und E sowie die Söhne G, J (Beteiligter zu 5) und S (Beteiligter zu 1). Seine Ehefrau ist vorverstorben. Die Beteiligte zu 2 ist die Ehefrau des 1997 kinderlos verstorbenen Sohnes G. Die Beteiligten zu 6 und 7 sind die Kinder der 1972 verstorbenen Tochter E.
Dem Erblasser gehörten zwei Gastwirtschaften und weiterer umfangreicher Grundbesitz. In einem privatschriftlichen Testament vom 18.12.1962 hat er folgendes bestimmt:
Nach meinem Tode soll mein Sohn G … das Anwesen Nr. 1, … mit den dazugehörigen Grundstücken erhalten.
Mein Sohn S … soll das Anwesen Nr. 3 mein Sohn J … das Anwesen Nr. 5 mit den dazugehörigen Grundstücken bekommen.
… (Vermächtnisse, insbesondere zugunsten der Töchter und der Ehefrau, sowie weitere Anordnungen zur Abwicklung des Nachlasses).
Sollte mein Sohn G ohne Nachkommen versterben, so erhält das Anwesen mein Sohn S … Dieser soll in diesem Fall folgende Vermächtnisse erfüllen: …
Im Falle der Veräußerung v. Nachlaßgrundstücken der Anwesen Nr. 1 und 3 durch meinen Sohn S … bedarf es der Zustimmung seines Bruders J …
In einem weiteren privatschriftlichen Testament vom 29.4.1965 hat der Erblasser diese Verfügungen wie folgt berichtigt und ergänzt:
1. Mein Sohn J hat Gastwirtschaft in Haus Nr. 5 notariell von mir im April 1965 erworben. Sohn J hat also vom Anwesen nichts mehr zu fordern;
Die weiteren Verfügungen in diesem Nachtragstestament betreffen die im früheren Testament ausgesetzten Vermächtnisse.
Nach dem Tod des Erblassers fand unter Beteiligung aller sechs Kinder eine Nachlaßverhandlung statt. In der Niederschrift hierüber ist u.a. folgendes vermerkt:
„Die Ersch. erklären:
Der Hauptbesitz ist das Anwesen Nr. 1. Der Verstorbene hat in seinem Testament bestimmt, daß diesen Besitz der Sohn G mit den dazu gehörigen Grundstücken erhalten soll.
Das Testament ist daher so auszulegen, daß der Sohn G … alleiniger Erbe sein soll, mit der Verpflichtung, die im Testament ausgesetzten Vermächtnisse und Auflagen zu erfüllen.
Auf Seite 4 des Testaments hat der Erblasser in der Bestimmung für den Fall, daß der Erbe ohne Nachkommen versterben sollte, daß dann das Anwesen der Sohn S … erhalten soll, lediglich eine Ersatzerbenbestimmung gemeint.
…
Die Erschienen erklärten hierauf: Ich erkennen die Testamente als echt und rechtswirksam an. Der Testamentsauslegung schließen wir uns an.
…
Der Verstorbene wird auf Grund des priv. Testaments vom 18.12.1962 beerbt von seinem Sohne G … – allein – G … erklärt: …. (Annahme der Erbschaft, Erbscheinsantrag als Alleinerbe).
Die Ersch. zu 2 bis 5 (i.e. die Kinder J, S, Beteiligte zu 3 u. 4) erklären: Das Alleinerbrecht unseres Bruders erkennen wir an. …
Dem Sohn G wurde daraufhin unter dem 19.10.1966 ein Erbschein als alleiniger Vollerbe erteilt.
Nach dem Tod des Sohnes G hat der Sohn S mit Schriftsatz vom 8.10.1997 einen Erbschein als Alleinerbe nach dem Erblasser beantragt. Er ist der Auffassung, dieser habe mit der Klausel „sollte mein Sohn G ohne Nachkommen versterben, …” Vor- und Nacherbfolge angeordnet. Die für die Nacherbfolge gesetzte Bedingung (Vorversterben des Sohnes G ohne Abkömmlinge) sei eingetreten. Somit sei er nach dem Tode seines Bruders Alleinerbe nach seinem Vater geworden. Die Erklärungen der Geschwister im Rahmen der Nachlaßverhandlung hätten sich nur auf die damals im Vordergrund stehende Frage bezogen, ob G Alleinerbe geworden sei, nicht aber auf die Frage einer Vor- und Nacherbschaft. Letzeres sei lediglich die Meinung des damals die Verhandlung durchführenden Rechtspflegers gewesen. Der Erbschein vom 19.10.1966 sei als unrichtig einzuziehen. Die Beteiligte zu 2 (Ehefrau des Sohnes G) ist dem entgegengetreten.
Das Nachlaßgericht hat zunächst mit Beschluß vom...