Leitsatz (amtlich)
Im Verfahren über einen Antrag auf Aufhebung der Betreuung ist erneut ein Gutachten einzuholen, wenn die Erstellung des letzten Gutachtens lange zurückliegt oder eine erhebliche Veränderung seiner Tatsachengrundlage nahe liegt.
Normenkette
FGG §§ 12, 68b, 69i
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Aktenzeichen 13 T 10264/01) |
AG Hersbruck (Aktenzeichen XVII 68/99) |
Tenor
I. Der Beschluss des LG Nürnberg-Fürth vom 22.1.2002 wird aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das LG Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.
Gründe
I. Für die Betroffene ist ein Betreuer bestellt. Die Betreuung erstreckte sich zunächst auf die Aufgabenkreise Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Entscheidungen über die Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Ämtern und insbesondere Gerichten. Am 2.10.2000 verlängerte das AG die Betreuung, erweiterte sie um den Aufgabenkreis Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post sowie die Entscheidung über Fernmeldeverkehr und ordnete den Einwilligungsvorbehalt für den Aufgabenkreis Vermögenssorge an. Im Jahr 2001 stellte die Betroffene mehrmals Anträge auf Aufhebung der Betreuung, die das AG mit Beschluss vom 27.9.2001 zurückwies. Die hiergegen erhobene Beschwerde der Betroffenen hat das LG am 22.1.2002 zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die zu Protokoll des Rechtspflegers des Beschwerdegerichts eingelegte weitere Beschwerde der Betroffenen.
II. Die weitere Beschwerde ist zulässig und begründet.
Sie führt zur Aufhebung der Entscheidung des LG und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.
1. Das LG hat ausgeführt, es lägen die Voraussetzungen für die Verlängerung und die Erweiterung des Umfanges der Betreuung sowie für die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts immer noch vor. Dies ergebe sich aus dem Gutachten des Sachverständigen vom 24.8.2000, wonach die Betroffene an einer psychotischen Erkrankung mit Denkzerfahrenheit und paranoiden Erlebnisinhalten leide und ihr Realitätsbezug und ihre Kritikfähigkeit hochgradig beeinträchtigt seien. Die Einschränkungen ihrer Kritikfähigkeit und ihre Wahnvorstellungen führten zu sinnlosen Vermögensverfügungen der Betroffenen, die vom Sachverständigen als geschäftsunfähig beurteilt werde. Es sei kein Grund vorhanden, ein neues Gutachten zu erholen, zumal die Betroffene am 4.9.2001 gegenüber dem Vormundschaftsrichter erklärt habe, sie wolle keinesfalls einen Gutachter haben, lieber warte sie noch ein Jahr.
2. Die Entscheidung des LG hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO n.F.) nicht stand.
a) Nach § 1908d Abs. 1 und 4 BGB sind die Betreuung und der Einwilligungsvorbehalt aufzuheben, wenn und soweit ihre Voraussetzungen wegfallen. Voraussetzung für die Anordnung einer Betreuung ist, dass ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann (§ 1896 Abs. 1 S. 1 BGB). Die Bestellung eines Betreuers von Amts wegen, also ohne Antrag des Volljährigen und, wie hier, gegen seinen Willen, setzt daneben voraus, dass der Betreute aufgrund seiner Erkrankung seinen Willen nicht frei bestimmen kann. Dies sagt das Gesetz zwar nicht ausdrücklich, ergibt sich aber aus einer verfassungskonformen Auslegung des Gesetzes. Denn der Staat hat von Verfassungs wegen nicht das Recht, seine erwachsenen und zur freien Willensbestimmung fähigen Bürger zu bessern oder zu hindern, sich selbst zu schädigen (BVerfGE 22, 180 [219 f.]; BayObLG v. 25.7.1994 – 3Z BR 97/94, BayObLGZ 1994, 209 [211] = BayObLGReport 1994, 76).
Ein Betreuer darf nur für Aufgabenkreise bestellt werden, für die eine Betreuung erforderlich ist (§ 1896 Abs. 2 S. 1 BGB); das ist für jeden Aufgabenkreis im Einzelnen festzustellen. Schließlich setzt die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes voraus, dass es zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten erforderlich ist, die Wirksamkeit seiner Willenserklärungen von der Einwilligung des Betreuers abhängig zu machen (vgl. § 1903 Abs. 1 S. 1 BGB, BayObLG v. 4.2.1993 – 3Z BR 11/93, BayObLGZ 1993, 63).
Für die Aufhebung der Betreuung oder des Einwilligungsvorbehalts genügt es, dass eines der genannten Tatbestandsmerkmale wegfällt. Der Antrag auf Aufhebung kann daher nur abgelehnt werden, wenn alle genannten Voraussetzungen noch vorliegen (vgl. BayObLG v. 9.3.1995 – 3Z BR 365/94, BayObLGReport 1995, 36 = FamRZ 1995, 1519).
Für das Verfahren über einen Antrag auf Aufhebung der Betreuung gilt § 12 FGG, besondere verfahrensrechtliche Vorschriften bestehen nicht (vgl. BayObLG v. 21.7.1994 – 3Z BR 170/94, BayObLGReport 1994, 69 = FamRZ 1994, 1602; 1998, 323). Ein neues Gutachten ist danach in diesem Verfahren einzuholen, wenn ein zeitnahes Gutachten nicht vorliegt (vgl. OLG Frankfurt am Main v. 13.3.1992 – 20 W 83/92, MDR 1992, 511 = OLGReport Frankfurt 1992, 176 = FamRZ 1992, 859) oder gewichti...