Entscheidungsstichwort (Thema)
Revision. Revisionsbegründung. Berufung. Berufungsverwerfung. Verwerfungsurteil. Abwesenheitsurteil. Prozessurteil. Verfahrensrüge. Sachrüge. Verfahrensfehler. Rügeanforderungen. Tatsachen. lückenlos. Ausbleiben. Entschuldigung. Ladung. Ladungsverfügung. Ladungsmangel. Belehrung. Sprache. Sprachkenntnis. Dolmetscher. Schlüssigkeit. Freibeweis. Urteilsgründe. Angriffsrichtung. Verlegungsantrag. Aufhebungsantrag. Aussetzung. Unterbrechung. Beiordnung. Pflichtverteidiger. Wahlverteidiger. Vertretungsvollmacht. Entschuldigungsgrund
Leitsatz (amtlich)
1. Die Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gelten ungeschmälert auch für die Beanstandung, die Berufung sei zu Unrecht nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen worden. Denn bei den Voraussetzungen des Verwerfungsurteils handelt es sich nicht um Verfahrensvoraussetzungen im eigentlichen Sinne, die bereits auf die Sachrüge hin vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen sind. Von der Revision sind deshalb lückenlos all die Tatsachen vorzutragen, die das Ausbleiben des Angeklagten ausreichend entschuldigen, oder die zeigen sollen, dass die Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO sonst nicht gegeben waren (u.a. Anschluss an BGH, Beschl. v. 11.04.1979 - 2 StR 306/78 = BGHSt 28, 384/386 ff. = MDR 1979, 690 = NJW 1979, 2319 und [für § 74 Abs. 2 OWiG ] BayObLG, Beschl. v. 27.06.1996 - 3 ObOWi 76/96 = BayObLGSt 1996, 90 = NStZ-RR 1997, 182 = VersR 1997, 987 ; OLG Hamm, Beschl. v. 26.02.2019 - 5 RVs 11/19 = BeckRS 2019, 5617 und OLG Saarbrücken, Urt. v. 16.09.2019 - Ss 44/19 bei juris).
2. Beanstandet die Revision, dass dem der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten die Ladung zum Termin mit der Belehrung über die Möglichkeit der Berufungsverwerfung für den Fall seines Nichterscheinens nur in deutscher Sprache zugestellt wurde, weshalb sein dortiges Ausbleiben mangels wirksamer Ladung als entschuldigt zu werten sei, setzt die insoweit nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotene Verfahrensrüge (auch) Ausführungen dazu voraus, ob und gegebenenfalls in welcher Form der Angeklagte bei Verkündung des Urteils erster Instanz nach § 35a Satz 2 StPO belehrt worden ist (u.a. Anschluss an OLG Hamm, Beschl. v. 25.10.2016 - 3 RVs 72/16 bei juris).
3. Die besondere Vertretungsvollmacht i.S.d. § 329 Abs. 2 Satz 1 StPO des zur Berufungshauptverhandlung erschienenen Pflichtverteidigers ergibt sich auch dann nicht allein aus seiner bloßen Beiordnung, wenn es sich bei dem Verteidiger um den vormaligen Wahlverteidiger des Angeklagten mit ehemals ausdrücklich erteilter Vertretungsvollmacht handelt (u.a. Anschluss an OLG Jena, Beschl. v. 28.07.2016 - 1 Ss 42/16 = StraFo 2016, 416 und OLG Köln, Beschl. v. 12.06.2018 - 1 RVs 107/18 = StraFo 2019, 21 ).
Normenkette
StPO § 35a S. 2, §§ 226, 323 Abs. 1 S. 2, § 329 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 2, § 344 Abs. 2 S. 2, § 345 Abs. 1, § 349 Abs. 2, § 473 Abs. 1 S. 1; BGB § 168
Tenor
Gründe
I.
Wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Nötigung und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Beleidigung, verurteilte das Amtsgericht Würzburg den Angeklagten, einen polnischen Staatsangehörigen, am 04.03.2019 zu einer (unbedingten) Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten. Seine gegen dieses Urteil form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat das Landgericht Würzburg mit dem angegriffenen Urteil vom 05.05.2020 ohne Verhandlung zur Sache in Anwesenheit des als Pflichtverteidiger beigeordneten Verteidigers des Angeklagten nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen, weil der Angeklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung zur Hauptverhandlung nicht erschienen und sein Ausbleiben auch nicht ausreichend entschuldigt sei. Mit Beschluss vom 27.05.2020 hat das Landgericht Würzburg die mit Verteidigerschriftsatz vom 14.05.2020 beantragte Wiedereinsetzung als unbegründet verworfen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde vom 03.06.2020 hat das Oberlandesgericht Bamberg mit Beschluss vom 14.07.2020 als unbegründet verworfen. Mit am 08.05.2020 eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom 07.05.2020 hat der Angeklagte gegen das Verwerfungsurteil vom 05.05.2020 Revision eingelegt und diese nach am 07.05.2020 erfolgter Urteilszustellung an den Angeklagten mit am 05.06.2020 eingegangenem Verteidigerschriftsatz vom 04.06.2020 begründet. Neben der nicht näher ausgeführten Sachrüge beanstandet der Angeklagte die Verwerfung seiner Berufung, weil er zum einen in der Berufungshauptverhandlung durch einen Verteidiger ordnungsgemäß im Sinne von § 329 Abs. 4 Satz 1 StPO vertreten gewesen und zum anderen als polnischer Staatsbürger der deutschen Sprache nicht mächtig nur in deutscher Sprache mitsamt des Hinweises auf die Folgen eines unentschuldigten Ausbleibens und damit nicht ordnungsgemäß zur Berufungshauptverhandlung gelad...