Entscheidungsstichwort (Thema)
Erfüllungsort für die beiderseitigen Verpflichtungen aus einem Bauwerkvertrag
Leitsatz (amtlich)
Erfüllungsort für die beiderseitigen Verpflichtungen aus einem Bauwerkvertrag ist regelmäßig der Ort des Bauwerks (Bestätigung von BayObLGZ 1983, 64).
Verfahrensgang
AG Kempten (Aktenzeichen 1 C 541/03) |
AG Forchheim (Aktenzeichen 70 C 519/03) |
Tenor
Zuständig ist das AG Kempten.
Gründe
I. Die Klägerin trägt vor, ihr stünde gegen die Beklagte für Verputzarbeiten an einem Gebäude in Kempten eine Werklohnforderung zu. Sie hat deshalb bei dem AG Kempten gegen die Beklagte in der Hauptsache Klage auf Zahlung von 3.699,45 Euro erhoben und zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit des AG Kempten auf den Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach § 29 ZPO hingewiesen. Vorsorglich hat die Klägerin die „Abgabe” an das für den Sitz der Beklagten örtlich zuständige AG Forchheim beantragt.
Mit Schriftsatz vom 26.5.2003 hat die Beklagte die örtliche Zuständigkeit des AG Kempten gerügt und zur Begründung ausgeführt, der geltend gemachte Zahlungsanspruch sei grundsätzlich am Wohnsitz des Schuldners geltend zu machen. Das AG Kempten hat sich daraufhin – ohne den Schriftsatz der Beklagten vom 26.5.2003 der Klägerin zuvor mitzuteilen – mit Beschluss vom 27.5.2003 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit „gem. § 281 ZPO” an das AG Forchheim verwiesen. Über die zitierte gesetzliche Vorschrift hinaus enthält der Verweisungsbeschluss keine Begründung.
Das AG Forchheim hat sich mit Beschluss vom 30.10.2003 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und die Akten dem BayObLG zur Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt. Zur Begründung hat das AG Forchheim unter Hinweis auf die Rspr. des BGH (BGH NJW 1986, 935) ausgeführt, Erfüllungsort für die beiderseitigen Verpflichtungen aus einem Bauwerkvertrag sei regelmäßig der Ort des Bauwerks. Es liege im wohlverstandenen Interesse beider Vertragsparteien, dass eine gerichtliche Auseinandersetzung dort geführt werden könne, wo aufgrund der räumlichen Nähe zum Bauwerk eine Beweisaufnahme – z.B. über das Aufmaß oder über behauptete Mängel – regelmäßig wesentlich einfacher und kostengünstiger durchgeführt werden könne als an dem auswärtigen Wohnsitz des Auftraggebers. So lägen die Gegebenheiten auch in dem anhängigen Rechtsstreit. Zu den zwischen den Parteien str. Massen sei Beweis durch Sachverständigengutachten und durch einen Zeugen in S. angeboten; ein Augenschein müsste ggf. in K. durchgeführt werden. Unter den in Betracht kommenden Gerichtsständen des Erfüllungsorts nach § 29 ZPO und des Sitzes der Beklagten nach § 17 ZPO habe die Klägerin durch Klageerhebung bei dem gem. § 29 ZPO zuständigen Gericht die Wahl ausgeübt. Die getroffene Wahl sei unwiderruflich und bindend. Demgegenüber könne der Verweisungsbeschluss des AG Kempten vom 27.5.2003 keine Bindungswirkung entfalten.
II. Als zuständiges Gericht war das AG Kempten zu bestimmen. Die nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dafür maßgebenden Voraussetzungen liegen vor.
1. Die beiden am negativen Kompetenzstreit beteiligten Gerichte liegen in den Bezirken verschiedener bayerischer OLG. Das BayObLG hat in einem solchen Fall den Zuständigkeitsstreit als das im Rechtszug zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht (§ 36 Abs. 1 ZPO) zu entscheiden.
2. Als zuständiges Gericht ist das AG Kempten zu bestimmen.
Erfüllungsort (§ 29 Abs. 1 ZPO, § 269 Abs. 1 BGB) für die beiderseitigen Verpflichtungen aus einem Bauwerkvertrag ist regelmäßig der Ort des Bauwerks (BGH NJW 1986, 935; BayObLG BayObLGZ 1983, 64 [66]; Palandt/Heinrichs, BGB, 62. Aufl., § 269 Rz. 14; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 29 Rz. 25 Stichwort „Bauwerkvertrag”). Da der Ort des Bauwerks in Kempten gelegen ist, besteht bei dem AG Kempten der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach § 29 Abs. 1 ZPO. Diesen Gerichtsstand hat die Klägerin durch Klageerhebung bei dem zuständigen AG Kempten gewählt (§ 35 ZPO); die getroffene Wahl ist unwiderruflich und bindend (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 35 Rz. 2, m.w.N.).
Die Zuständigkeit des AG Forchheim folgt nicht aus einer Bindung an den Verweisungsbeschluss des AG Kempten gem. § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO. Diese Bindungswirkung gilt nicht, wenn die Verweisung sich so weit von der gesetzlichen Grundlage entfernt, dass sie im Hinblick auf das Gebot des gesetzlichen Richters und das Willkürverbot des Grundgesetzes nicht hingenommen werden kann oder wenn sie auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht (BGH BGHZ 71, 69 [72]; v. 10.12.1987 – I ARZ 809/87, BGHZ 102, 338 [341] = MDR 1998, 470; BayObLG BayObLGZ 1986, 285 [287]; v. 16.7.1991 – AR 1Z 57/91, BayObLGZ 1991, 280 [281]; v. 9.9.1993 – 1Z AR 25/93, BayObLGZ 1993, 317 [319] = BayObLGReport 1994, 8; Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 281 Rz. 17).
Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Verweisungsbeschluss des AG Kempten vom 27.5.2003 entbehrt jeder gesetzlichen Grundlage, weil das als Gericht des Erfüllungsorts (§ 29 Abs. 1 ZPO) unzweifelha...