Leitsatz (amtlich)

Antwort auf die Anfrage des 2. Zivilsenats vom 13.3.2001 betreffend die Versäumung einer Rechtsmittelfrist, wenn eine Rechtsmittelbelehrung vom Gesetz nicht vorgeschrieben ist und auch nicht erteilt wurde.

 

Leitsatz (redaktionell)

Die den Beschlüssen zugrundeliegende Hauptsache hat sich erledigt, so daß für die in dem Beschluß vom 13.03.2001 ins Auge gefaßte Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen des Bayerischen Obersten Landesgerichts oder an den Bundesgerichtshof kein Raum mehr ist.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; FGG § 22 Abs. 2; GVG § 132 Abs. 3; EGGVG § 10 Abs. 1

 

Tenor

1. Der Senat hält an seiner im Beschluß vom 14. Oktober 1996 (1Z BR 219/96) zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung fest, daß eine allgemeine Pflicht der Gerichte zur Rechtsmittelbelehrung – auch von Verfassungs wegen – in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht besteht.

2. Versäumt eine anwaltlich nicht vertretene Partei, der eine Rechtsmittelbelehrung nicht erteilt wurde, die in § 22 Abs. 1 Satz 1 FGG vorgeschriebene Beschwerdefrist, so ist nach Auffassung des Senats der Irrtum über die Voraussetzungen der rechtzeitigen Einlegung des Rechtsmittels als unverschuldet im Sinne des § 22 Abs. 2 Satz 1 FGG anzusehen, es sei denn, besondere Umstände ergeben, daß die Rechtsmittelfrist aus anderen Gründen als Rechtsunkenntnis versäumt wurde. An der Entscheidung des Senats vom 14. Oktober 1996 wird nicht festgehalten, soweit aus ihr Gegenteiliges abgeleitet werden kann.

 

Gründe

1. Der Senat hat seiner vom anfragenden 2. Zivilsenat angesprochenen Entscheidung vom 14.10.1996 die Auffassung zugrunde gelegt, daß der in § 22 Abs. 1 Satz 2 FGG vorgesehene Beginn einer Rechtsmittelfrist nicht von der Erteilung einer Rechtsmittelbelehrung abhängt, soweit der Gesetzgeber – wie grundsätzlich im FGG – eine Rechtsmittelbelehrung nicht vorgeschrieben hat. Auch unter Berücksichtigung der dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 20.6.1995 (BVerfGE 93, 99 ff.) zugrundeliegenden Rechtsauffassungen machte sich der Senat nicht die Ansicht zu eigen, daß bei befristeten Rechtsmitteln in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine Rechtsmittelbelehrung von Verfassungs wegen geboten sei; vielmehr vertrat der Senat die Auffassung, daß das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung die Wirksamkeit der gerichtlichen Entscheidung und die an ihre Bekanntmachung geknüpften Folgen nicht beeinträchtigt. Hieran wird festgehalten.

2. Die Annahme einer in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit von Verfassungs wegen – sei es generell, sei es im Einzel fall – gebotenen Rechtsmittelbelehrung hält der Senat auch nicht für erforderlich, um dem vom Bundesverfassungsgericht aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Grundsatz einer fairen Verfahrensgestaltung abgeleiteten Gebot Rechnung zu tragen, den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht unzumutbar zu erschweren. Eine im Sinne der entsprechenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unzumutbare Erschwernis tritt nämlich allenfalls dann ein, wenn eine auf eine fehlende Rechtsmittelbelehrung zurückzuführende Fristversäumung dem Beschwerdeführer als „verschuldet” im Sinne des § 22 Abs. 2 Satz 1 FGG zugerechnet wird, wie dies allerdings in der bisher herrschenden Rechtsprechung, auch in derjenigen des Obersten Landesgerichts, angenommen wird. Hierzu besteht aber von Gesetzes wegen kein zwingender Anlaß. Die entsprechende Rechtsprechung beruht auf der These, es sei Sache eines juristisch nicht vorgebildeten Beteiligten, der eine ihm ungünstige gerichtliche Entscheidung zugestellt erhält, sich alsbald nach Form und Frist eines beabsichtigten Rechtsmittels zu erkundigen (vgl. Keidel/Kahl FGG 14. Aufl. § 22 Rn. 23 m.w.N.). Diese Annahme ist – im Sinne der in der Anfrage zum Ausdruck kommenden Rechtsauffassung – überprüfungsbedürftig und überprüfungsfähig.

3. Der Gesetzgeber geht in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit auch für das Rechtsmittelverfahren davon aus, daß die rechtskundige Vertretung des Rechtsmittelführers aus Rechtsgründen nicht geboten ist (vgl. insbesondere §§ 21, 29 Abs. 1 FGG). Der Senat teilt die in der Anfrage zum Ausdruck gebrachte Auffassung, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht nur unterschiedlich ausgestaltet, sondern auch nicht einfach überschaubar und im Bewußtsein der Bevölkerung nicht zweifelsfrei verwurzelt sind. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine auf Rechtsunkenntnis zurückzuführende Fristversäumung eines anwaltschaftlich nicht vertretenen Beteiligten, dem eine Rechtsmittelbelehrung nicht erteilt wurde, als „schuldhaft” zu beurteilen ist, sind auch die geänderten tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen zu berücksichtigen. Zu diesen gehört auch, daß zuletzt in der Folge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20.6.1995 es in der untergerichtlichen Praxis jedenfalls zum Teil üblich geworden ist, Rechtsmittelbelehrungen – s...

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