Entscheidungsstichwort (Thema)
Revision. Sachrüge. Berufungsurteil. Urteilsaufhebung. Zurückverweisung. Urteilsgründe. Beweiswürdigung. lückenhaft. Zeuge. Zeugin. Belastungszeuge. Belastungszeugin. Belastungsindiz. Nebenkläger. Nebenklägerin. Aussage. Zeugenaussage. Aussage-gegen-Aussage. Aussage-gegen-Aussage-Konstellation. Hörensagen. Vergewaltigung. Penetration. Finger. Übergriff. sexuell. Bestreiten. glaubhaft. Kerngeschehen. Aussagekonstanz. Detailliertheit. Nachvollziehbarkeit. Plausibilität. Chat-Verkehr. Gesamtschau. Inhaltsanalyse. Entstehungsgeschichte. Aussagemotiv. Lüge. Darstellungsdefizit. Glaubwürdigkeit. Berufungsverfahren. Ermittlungsverfahren. Vernehmung. Polizei. Kriminalpolizei. zirkelschlüssig. Belastungseifer. Entlastungseifer. Übertreibung. Strafzumessung. Regelwirkung. Gesamtabwägung. Milderungsgrund. Verteidigungsverhalten
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation sind besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung zu stellen. Der Tatrichter muss in derartigen Fällen den entscheidenden Teil der verschiedenen Aussagen des Belastungszeugen, auch solchen, die im Ermittlungsverfahren erfolgt sind, im Urteil wiedergeben, weil dem Revisionsgericht sonst die rechtliche Überprüfung der für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit relevanten Aussagekonstanz nicht möglich ist. Dies gilt vor allem, soweit es um die Schilderung von Details zum Kerngeschehen geht und auch die Plausibilität der Zeugenaussage hiervon abhängt.
2. Die Wertung des Tatrichters, der Belastungszeuge habe "ohne Übertreibungen ausgesagt" , stellt einen Zirkelschluss dar, wenn der Tathergang mangels anderer Beweismittel allein aufgrund des Inhalts der Aussage dieses Zeugen festgestellt wurde.
3. Zwar ist es nicht von vornherein unzulässig, aus einer Lüge des Angeklagten im Rahmen der Beweiswürdigung Schlüsse zu ziehen. Allerdings muss sich der Tatrichter bewusst sein, dass der Widerlegung einer Einlassung nur ein begrenzter Beweiswert zukommt, weil auch ein Unschuldiger, wenn er befürchtet, er könnte zu Unrecht verurteilt werden, gegebenenfalls die Zuflucht zur Lüge nehmen kann.
Normenkette
StGB § 177; StPO § 349 Abs. 4, §§ 353, 354 Abs. 2
Tenor
I.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts vom 11.03.2021 mit den Feststellungen aufgehoben.
II.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten am 17.06.2020 wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Die hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht mit Urteil vom 11.03.2021 als unbegründet verworfen. Mit seiner gegen das Berufungsurteil gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die zulässige Revision des Angeklagten ist begründet und führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils (§ 349 Abs. 4 StPO) und Zurückverweisung der Sache. Die Beweiswürdigung der Berufungskammer hält der sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Das Berufungsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte führte im November 2018 eine Beziehung mit der Zeugin H., der Mutter der im Jahr 1993 geborenen Nebenklägerin, die gemeinsam mit ihrer Mutter in einer Wohnung lebte. Während einer Urlaubsreise der Zeugin H. suchte der Angeklagte am Morgen des 23.11.2018 "unter einem Vorwand" die Nebenklägerin in ihrer Wohnung auf. Nachdem diese ihre Tochter in den Kindergarten gebracht hatte und in die Wohnung zurückgekehrt war, griff der Angeklagte der Nebenklägerin in kurzen zeitlichen Abständen dreimal mit der rechten Hand von hinten in den Ausschnitt ihres T-Shirts unter ihren BH und umfasste dabei die linke Brust der Frau für kurze Zeit. Die Nebenklägerin äußerte jeweils sogleich, dass der Angeklagte dies lassen solle, und machte auf diese Weise klar, dass sie keine sexuellen Handlungen wolle. Da der Angeklagte hierauf nicht reagierte, zog die Nebenklägerin anschließend jeweils die Hand des Angeklagten weg. Um weiteren Übergriffen zu entgehen, entschloss sich die Nebenklägerin, die Wohnung zu verlassen. Bevor sie dies umsetzen konnte, trat der Angeklagte von hinten an sie heran. Er fasste für etwa 4 bis 5 Sekunden wissentlich und willentlich und gegen deren Willen mit der rechten Hand durch den Bund ihrer Hose in die Unterhose der Nebenklägerin. Der Angeklagte legte zunächst seine Hand auf die Scheide der Frau und berührte ihren Kitzler. Anschließend führte er einen Teil des Mittelfingers seiner rechten Hand bis etwa zum ersten Fingerglied, also mindestens ca. 1 cm tief, für mindestens ein bis zwei Sekunden in die Scheide der Geschädigten, um sich hierdurch sexuell zu erregen. Nach einem kurzen Schreckmoment zog die Geschädigte die Hand des Angeklagten aus ihrer Hose und äußerte erneut, das...