Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahrverbot. Regelfahrverbot. Rotlichtverstoß. qualifiziert. typisch. atypisch. Rotlichtphase. Ampel. Baustellenampel. Lichtzeichenanlage. Wechsellichtzeichen. Countdown-Uhr. Urteilsfeststellungen. lückenhaft. Gefährdung. Querverkehr. Gegenverkehr. Diagonalverkehr. Pflichtverletzung. grob. abstrakt. Ausweichmöglichkeiten. Verkehrsführung. einspurig. Regelbeispiel. Indizwirkung. Tatörtlichkeit. Tatumstände. Tatgericht. Rechtsbeschwerdegericht. Sachrüge
Leitsatz (amtlich)
1. Nicht jede Missachtung eines Wechsellichtzeichens trotz bereits länger als eine Sekunde andauernder Rotphase stellt eine typische, die Verhängung der erhöhten Geldbuße sowie ei- nes Fahrverbotes nach Nr. 132.3 BKat indizierende Pflichtverletzung dar. Insbesondere im Falle einer einspurigen Verkehrsführung an einer Baustellenampel kann die Indizwirkung des Regelbeispiels entkräftet sein.
2. In einem solchen Fall sind im tatrichterlichen Urteil nähere Darlegungen zur Tatörtlichkeit sowie zur konkreten Verkehrssituation erforderlich, die die Beurteilung erlauben, ob das Ge- wicht der Pflichtverletzung dem Typus des Regelfalles entspricht (Anschluss u.a. an BayObLG, Beschl. v. 16.10.1996 - 1 ObOWi 611/96 = NStZ-RR 1997 = NZV 1997/ 242 = DAR 1997, 28; OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.06.2003 - 1 Ss [OWi] 97 B/03 = ZfSch 2003, 471; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 08.03.2018 - 1 OWi 2 Ss Bs 107/18 = ZfSch 2018, 290).
Normenkette
StVG § 25 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, Abs. 2a, § 26a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2; OWiG § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 1, Abs. 6, § 80a Abs. 1; StPO § 349 Abs. 2; BKatV § 1 Abs. 2 S. 2; BKatV a.F. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; BKat Nr. 132.3
Tenor
I.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts vom 09.08.2021 im Rechtsfolgenausspruch sowie in der Kostenentscheidung aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
II.
Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
III.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen wegen (einer am 07.12.2020 um 13.15 Uhr erfolgten) Missachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage, wobei die Rotphase bereits länger als eine Sekunde andauerte, zu einer Geldbuße von 200 Euro und verhängte gegen ihn wegen eines groben Pflichtenverstoßes ein mit der Vollstreckungserleichterung gemäß § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot für die Dauer eines Monats. Tatörtlichkeit war nach den Feststellungen des Amtsgerichts die A.-Straße innerorts in B., welche aufgrund von Bauarbeiten nur auf einem Fahrstreifen für beide Richtungen befahrbar war. Der Verkehr wurde mit einer Baustellenampelanlage geregelt. Bei der Lichtzeichenanlage handelte es sich um eine Baustellenampel mit dazugehöriger "Countdown-Uhr". Der Betroffene hielt zunächst auf Höhe der Hausnummer 26 als erstes Fahrzeug in der Warteschlange an der rot zeigenden Ampel an. Sodann fuhr der Betroffene über die Ampel, obwohl die Rotphase (Gesamtdauer 2-10 Minuten) noch 6 Sekunden Rotlicht anzeigte. Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Mit Antragsschrift vom 12.11.2021 beantragte die Generalstaatsanwaltschaft, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 09.08.2021 als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat, soweit sie sich gegen den Rechtsfolgenausspruch richtet, auf die Sachrüge - jedenfalls vorläufigen - Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Hinsichtlich des Schuldspruchs hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerde jedenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).
a) Die im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen insbesondere auch zur Dauer der Rotlichtphase, an die der Senat im Rahmen der Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge gebunden ist, tragen die Annahme eines qualifizierten Rotlichtverstoßes in objektiver Hinsicht. Dass das Amtsgericht von Fahrlässigkeit ausgegangen ist, wiewohl die Möglichkeit vorsätzlicher Tatbegehung hier nahe liegt, beschwert den Betroffenen jedenfalls nicht.
b) Im Übrigen kann der Senat offen lassen, ob das Amtsgericht vorliegend davon absehen durfte, die von der Verteidigung benannte Gegenzeugin zu vernehmen, welche die Aussage des einzigen Belastungszeugen entkräften sollte (instruktiv hierzu OLG Hamm NStZ 1984, 462). Insoweit fehlt es bereits - wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 12.11.2021 zutreffend ausführt - an einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge der Verletzung des Beweisantragsrechts bzw. der gerichtlichen Aufklärungspflicht.
2. Indes begegnet der Rechtsfolgenausspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken,...