Leitsatz (amtlich)

1. Fehlende Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs, wenn das AG, statt nach § 504 ZPO den Beklagten zu belehren und seine Entscheidung, ob er rügelos zur Hauptsache verhandeln will, abzuwarten, nur den Klägervertreter auf seine Unzuständigkeit hinweist und dem Beklagten lediglich Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Verweisungsantrag des Klägers gibt.

2. Honoraransprüche aus einem Anwaltsvertrag sind am Ort der Kanzlei des Rechtsanwalts zu erfüllen.

 

Normenkette

ZPO § 29 Abs. 1, § 36 Abs. 1 Nr. 6, §§ 39, 504; BGB § 269

 

Verfahrensgang

AG Bergheim (Aktenzeichen 28 C 231/02)

AG München (Aktenzeichen 223 C 34368/00)

 

Tenor

Zuständig ist das AG München.

 

Gründe

I. Die Klägerin, eine Rechtsanwalts-GmbH mit Sitz in München, hat einen Honoraranspruch i.H.v. 1.371,70 DM gegen den in Bergheim wohnenden Beklagten beim AG München eingeklagt. Nachdem das AG München zweimal zur Hauptsache verhandelt hatte – in beiden Terminen (vom 1.3.2001 und 18.10.2001) haben die Parteien ihre Anträge gestellt und wurde danach die Sach- und Rechtslage mit den Parteien erörtert –, ohne dass seine örtliche Zuständigkeit von ihm selbst oder vom Beklagten in Zweifel gezogen worden wäre, wies es nach einem Richterwechsel die Klägerin telefonisch darauf hin, dass es den Gerichtsstand des Erfüllungsortes am Kanzleisitz nicht für gegeben und sich deswegen für unzuständig halte. Die Klägerin beantragte mit Schriftsatz vom 21.8.2002 die Verweisung des Rechtsstreits an das AG Bergheim im schriftlichen Verfahren. Mit Verfügung vom 21.8.2002 hob das AG den für 22.8.2002 anberaumten – dritten – Termin auf und forderte den Beklagten auf, zu dem Verweisungsantrag binnen einer Woche Stellung zu nehmen. Mit Beschluss vom 9.9.2002 erklärte es sich für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit nach § 281 ZPO an das AG Bergheim. Zur Begründung führte es aus, es bestehe keine Zuständigkeit des AG München nach § 29 ZPO; Erfüllungsort sei nicht der Sitz der Kanzlei, sondern der Ort, an dem der Beklagte bereits bei Begründung des Mandats seinen Wohnsitz gehabt habe. Das AG Bergheim lehnte die Übernahme mit den Parteien mitgeteiltem Beschluss vom 23.9.2002 ab und erklärte sich seinerseits für unzuständig. Es ist der Meinung, dass beim AG München der Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 ZPO begründet sei, da die Anwaltskanzlei nach ganz h.M. auch Erfüllungsort für die Zahlung der anwaltlichen Honoraransprüche sei. Der Verweisungsbeschluss vom 9.9.2002 sei nicht bindend, weil der zur Vermeidung einer Klageabweisung gestellte Verweisungsantrag durch einen als Verletzung des rechtlichen Gehörs zu wertenden irreführenden Hinweis ausgelöst worden sei. Es hat die Akten dem OLG München, dieses hat sie dem Bayerischen Obersten Landesgericht vorgelegt.

II. Zuständiges Gericht ist das AG München.

1. Nach § 36 Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO hat das BayObLG den Zuständigkeitsstreit zu entscheiden.

2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Durch die auf § 281 ZPO gestützten Beschlüsse vom 9.9.2002 und 23.9.2002 haben sich zwei Gerichte, von denen eines zuständig ist, i.S.d. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO „rechtskräftig” für unzuständig erklärt (vgl. § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO).

3. Das AG München ist örtlich zuständig. Sein Verweisungsbeschluss ist nicht bindend.

a) Nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das verwiesen wird, grundsätzlich bindend. Diese Bindung ist auch im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten (BayObLG v. 9.5.1990 – AR 1 Z 45/90, NJW-RR 1991, 187 [188]; KG Berlin v. 23.8.1999 – 28 AR 103/99, KG Report Berlin 1999, 394 [395]; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 36 Rz. 28). Die Bindung tritt grundsätzlich auch dann ein, wenn der Verweisungsbeschluss zu Unrecht ergangen ist (BGH v. 10.12.1987 – I ARZ 809/87, MDR 1988, 470 = NJW 1988, 1794 [1795]; FamRZ 1990, 1226 [1227]; BayObLG v. 26.11.1985 – AllgReg. 90/85, MDR 1986, 326 = BayObLGZ 1985, 397 [401]). Sie entfällt nur dann, wenn die Verweisung auf Willkür oder einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht (BGHZ 71, 69 [72]; BGH v. 10.12.1987 – I ARZ 809/87, BGHZ 102; 338 [341] = MDR 1988, 470; BayObLGZ 1986, 285 [287]; BayObLGZ 1991, 280 [281 f.]; Zöller/Greger, § 281 Rz. 17, 17a).

b) Der Verweisungsbeschluss des AG München ist nicht bindend, weil er auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht.

Aus der Sicht des verweisenden Richters, der die Zuständigkeit des AG München nach § 29 Abs. 1 ZPO nicht für gegeben hielt, war die Zuständigkeit des AG München auch nicht gem. § 39 S. 1 ZPO durch die zweimalige rügelose Verhandlung zur Hauptsache begründet worden, weil die – trotz anwaltlicher Vertretung des Beklagten erforderliche (Zöller/Herget, § 504 Rz. 2) – Belehrung nach § 504 ZPO unterblieben war (§ 39 S. 2 ZPO). Er hatte dann aber vor einer allenfallsigen Verweisung nach § 504 ZPO zu verfahren, also den Beklagten vor der Fortsetzung der Verhandlung zur...

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