Entscheidungsstichwort (Thema)
Genehmigung der Einwilligung in die Sterilisation der Betroffenen
Leitsatz (amtlich)
Eine Sterilisation ist nicht gerechtfertigt, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, ohne Maßnahmen zur Empfängnisverhütung werde es zu einer Schwangerschaft kommen. Mit einer Schwangerschaft muß den Umständen nach ernstlich zu rechnen sein. Die nur abstrakte Möglichkeit einer Schwangerschaft reicht nicht aus.
Normenkette
BGB § 1905 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
LG Augsburg (Beschluss vom 10.09.1996; Aktenzeichen 5 T 2739/96) |
AG Nördlingen (Aktenzeichen XVII 22/95) |
Tenor
I. Die weiteren Beschwerden gegen den Beschluß des Landgerichts Augsburg vom 10. September 1996 werden zurückgewiesen.
II. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.
Tatbestand
I.
Für die Betroffene ist u.a. mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung (einschließlich der Entscheidung über die Unterbringung) und Sorge für die Gesundheit (einschließlich der Zustimmung zu operativen Eingriffen) eine Betreuerin und mit dem Aufgabenkreis Durchführung der Sterilisation ein weiterer Betreuer bestellt.
Mit Beschluß vom 29.4.1996 lehnte es das Amtsgericht ab, die Sterilisation der Betroffenen zu genehmigen.
Die vom Verfahrenspfleger und von beiden Betreuern hiergegen eingelegten Beschwerden hat das Landgericht am 10.9.1996 zurückgewiesen.
Gegen diesen Beschluß wenden sich der Verfahrenspfleger und der Sterilisationsbetreuer mit der weiteren Beschwerde.
Entscheidungsgründe
II.
Die Rechtsmittel sind zulässig, haben aber keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat ausgeführt:
Die im Jahr 1973 geborene Betroffene sei mehrfach behindert (leichte geistige Behinderung im Grenzbereich zur Lernbehinderung und schwerste Sehbehinderung) und leide an Epilepsie und an einer chronischen schizophrenen Psychose.
Eine Schwangerschaft, die körperlich möglich sei, bzw. die Geburt eines Kindes brächten bei der Betroffenen das erhebliche Risiko einer Exacerbation der Psychose mit sich. Gleichwohl habe das Amtsgericht die Voraussetzungen für eine Einwilligung des Betreuers in die Sterilisation der Betroffenen und für die Genehmigung eines solchen Eingriffs zu Recht verneint.
Dabei könne dahingestellt bleiben, ob die Sterilisation nicht schon dem Willen der Betroffenen widerspreche und ob die derzeit einwilligungsunfähige Betroffene auf Dauer einwilligungsunfähig bleiben werde.
Zunächst sei nämlich bereits fraglich, ob es ohne die Sterilisation zu einer Schwangerschaft kommen würde, da unter den derzeit gegebenen Umständen sexueller Kontakt der Betroffenen unwahrscheinlich sei. Die Betroffene lebe zwar in einer gemischt-geschlechtlichen Wohngruppe, diese werde jedoch tagsüber von zwei Mitarbeitern betreut. Nachts seien die Gänge des Männer- und Frauentrakts grundsätzlich verschlossen, so daß unter normalen Umständen kein Mann in den Frauentrakt gelangen könne. Ferner sei die Betroffene zwar unbekümmert und distanzlos, gehe auf Männer zu, gebe ihnen ein Küßchen auf die Wange oder ziehe auch mal ihren Pullover hoch. Geschlechtsverkehr habe sie jedoch noch nicht praktiziert und habe auch keinen dahingehenden Bedarf. Mit der psychischen Erkrankung sei eine Steigerung der sexuellen Appetenz nicht verbunden.
Jedenfalls könne eine Schwangerschaft durch andere, zumutbare und weniger schwerwiegende Mittel verhindert werden. So lasse sich das unter den derzeit gegebenen Umständen verbleibende geringe Schwangerschaftsrisiko schon durch einen Wechsel der Betroffenen in eine reine Fraueneinrichtung ausschließen. Ein solcher Wechsel sei für die Betroffene auch zumutbar. Eine weitere zumutbare Alternative sei die Anwendung eines Intrauterinpessars. Dieses müsse nicht notwendig unter Narkose eingelegt werden. Körperwahrnehmungsstörungen seien durch sein Tragen nicht zu erwarten. Die erforderlichen Kontrolluntersuchungen könnten mit Ultraschall durchgeführt werden. Jedenfalls scheide diese Verhütungsmethode erst dann als ungeeignet aus, wenn sie sich als tatsächlich nicht praktikabel erwiesen habe.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO).
a) Unter der Sterilisation einer Frau ist die gezielte permanente Unfruchtbarmachung durch einen operativen Eingriff an den Transportwegen des Eies oder an der Gebärmutter zu verstehen (Knittel BtG § 1905 BGB Rn. 1). Da sie einen schweren Eingriff in die körperliche Integrität und die gesamte Lebensführung darstellt (BT-Drucks 13/3822 S. 1), knüpft § 1905 BGB die Einwilligung des hierfür besonders bestellten Betreuers in die Sterilisation der selbst nicht einwilligungsfähigen Betreuten und die Erteilung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung an mehrere sehr enge Voraussetzungen, die ausschließlich auf die Interessen der Betreuten abstellen und kumulativ erfüllt sein müssen (BT-Drucks 13/3822 S. 2; Bienwald Betreuungsrecht 2.Aufl. § 1905 BGB Rn. 28; Damrau in Damrau/Zimmermann Betreuung und Vormundschaft 2.Aufl....