Leitsatz (amtlich)

I. Ein zulässiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung gehört zu den allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen, die im Rechtsbeschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen sind und deren Fehlen zur Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde führt.

II. Eine der allgemeinen verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage nachgebildete allgemeine Feststellungsklage ist zwar über die gesetzlich in Art. 208 BayStVollzG i.V.m. §§ 109 ff. StVollzG aufgeführten Antragsarten hinaus grundsätzlich anerkannt, jedoch ausschließlich zur Schließung ansonsten bestehender Rechtsschutzlücken statthaft. Sie kommt somit vor allem dann in Betracht, wenn die beanstandete Maßnahme oder deren Ablehnung vor der möglichen Erhebung eines Anfechtungs- oder Verpflichtungsantrags auf gerichtliche Entscheidung bereits erledigt war, demzufolge ein Anfechtungs- oder Verpflichtungsantrag ausgeschlossen ist und damit die Möglichkeit zur Anbringung eines Fortsetzungsfeststellungsantrags gemäß Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 115 Abs. 3 StVollzG gerade nicht eingreift.

III. Ein besonderes Feststellungsinteresse besteht trotz Erledigung unter anderem dann fort, wenn ein gewichtiger Grundrechtseingriff von solcher Art geltend gemacht wird, dass gerichtlicher Rechtsschutz dagegen typischerweise nicht vor Erledigungseintritt erlangt werden kann.

IV. Angesichts der nicht auszuschließenden gesundheitsgefährdenden Wirkungen des Passivrauchens greift die zwangsweise gemeinschaftliche Unterbringung eines nichtrauchenden Gefangenen mit einem rauchenden Mitgefangenen in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ein. Der Gefangene hat Anspruch auf Schutz vor Gefährdung und erheblicher Belästigung durch das Rauchen von Mitgefangenen und Aufsichtspersonal. Der Schutz der Nichtraucher vor Passivrauchen ist umfassend zu gewährleisten; er reicht über die gemeinsame Zellenunterbringung hinaus und ist etwa auch in Fernsehgemeinschaftsräumen, in Warteräumen, etwa des Krankenreviers, und in Durchgangsgruppenhafträumen zu gewährleisten. Dabei muss die Anstalt durch geeignete, von Beschwerden des betroffenen Nichtrauchers unabhängige Vorkehrungen für eine systematische Durchsetzung des gesetzlichen Verbots sorgen.

V. In Bezug auf die Haftbedingungen hängt es grundsätzlich von einer Gesamtschau der tatsächlichen, die Haftsituation bestimmenden Umstände ab, ob die Art und Weise der Unterbringung eines Strafgefangenen die Menschenwürde verletzt, wobei folgende Kriterien eine Rolle spielen: die Bodenfläche pro Gefangenem, die Situation der sanitären Anlagen, die Dauer der Unterbringung und die täglichen Einschlusszeiten, die Lage und Größe des Fensters, die Ausstattung und Belüftung des Haftraums sowie die Raumtemperatur und die hygienischen Verhältnisse.

VI. Danach ist die Menschenwürde nicht verletzt, wenn die Toilette zwar baulich nicht abgetrennt ist, der Beschwerdeführer aber in der Einpersonenzelle bei der Toilettenbenutzung nicht den Blicken von Zellenmitgenossen ausgesetzt ist und nicht von den Bediensteten der Anstalt beim Betreten der Zelle beim Toilettengang beobachtet werden kann.

VII. Verfügt die Toilette nicht über einen gesonderten Abzug, ist es dem Strafgefangenen bei nur kurzzeitiger Unterbringung zumutbar, den Haftraum über das Außenfenster zu lüften.

 

Normenkette

GG Art. 1 Abs. 1 S. 1, Art. 2 Abs. 1, 2 S. 1; StVollzG § 109 ff., § 115 Abs. 3; BayStVollzG Art. 58 Abs. 3; GSG Art. 1, 2 Nr. 1, Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Entscheidung vom 14.10.2022; Aktenzeichen - AZ: II StVK 912/21)

 

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 14. Oktober 2022 insoweit aufgehoben, als seine Teilanträge auf Feststellung,

  1. dass seine Unterbringung am 18. Oktober 2021 für eine Stunde gemeinsam mit Rauchern im Warteraum der Justizvollzugsanstalt Nürnberg rechtswidrig war,
  2. dass die Nichtaushändigung einer frisch gewaschenen Bettdecke und eines frisch gewaschenen Kopfkissens gegen die Fürsorgepflicht verstieß,
  3. dass die Nichtaushändigung einer Bastelschere an den Beschwerdeführer rechtswidrig war,

zurückgewiesen worden sind. Mit aufgehoben werden auch die Kostenentscheidung und die Festsetzung des Gegenstandswertes.

2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist insoweit in der Hauptsache erledigt, als er sich auf die Rechtswidrigkeit der Nichtaushändigung einer Bastelschere bezieht.

3. Es wird festgestellt, dass die Unterbringung des Beschwerdeführers am 18. Oktober 2021 für eine Stunde gemeinsam mit Rauchern im Warteraum der Justizvollzugsanstalt Nürnberg rechtswidrig war.

4. Das Verfahren über den Teilantrag des Beschwerdeführers festzustellen, dass die Nichtaushändigung einer frisch gewaschenen Bettdecke und eines frisch gewaschenen Kopfkissens gegen die Fürsorgepflicht verstieß, wird zur neuen Entscheidung - auch über die Kosten erster und zweiter Instanz - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.

5. Die w...

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