Leitsatz (amtlich)
Zur Prüfung der Wechselbezüglichkeit von Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments mit Schlusserbeneinsetzung (Berliner Testament).
Normenkette
BGB § 2270
Verfahrensgang
AG Kempten (Aktenzeichen VI 408/00) |
LG Kempten (Aktenzeichen 4 T 697/01) |
Tenor
I. Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des LG Kempten (Allgäu) vom 13.1.2003 wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens auf 91.607 Euro festgesetzt wird.
II. Die Beteiligte zu 1) hat den Beteiligten zu 2) bis 4) die diesen im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.
III. Den Beteiligten zu 2) bis 4) wird für das Verfahren der weiteren Beschwerde mit Wirkung vom 10.3.2003 Prozesskostenhilfe bewilligt; ihnen wird Rechtsanwalt R als Verfahrensbevollmächtigter beigeordnet. Die Beteiligten zu 2) bis 4) haben die auf Grund Prozesskostenhilfe geleisteten Zahlungen aus ihrem Vermögen bis 1.10.2003 an die Landesjustizkasse Bamberg zurückzuerstatten.
IV. Der Wert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 91.607 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der 1940 geborene und 2000 verstorbene Erblasser war in einziger 1984 geschlossener Ehe mit der 1938 geborenen S. kinderlos verheiratet. Der Beteiligte zu 2) ist der Sohn der Ehefrau aus erster, geschiedener Ehe, die Beteiligte zu 3) seine Ehefrau, die Beteiligte zu 4) deren gemeinsame Tochter. Die Beteiligte zu 1) ist die Mutter des Erblassers; dieser hat zwei Schwestern.
Der Erblasser, der als Bauingenieur beschäftigt war, und seine Ehefrau, die kein Vermögen in die Ehe einbrachte, hatten mit Ehevertrag vom 26.7.1984 Gütertrennung vereinbart. Mit privatschriftlichem gemeinschaftlichem Testament vom 3.7.1987 setzten sie sich gegenseitig zu Alleinerben ein. Mit Kaufvertrag vom 12.9.1991 erwarb die Ehefrau des Erblassers eine Eigentumswohnung mit Tiefgaragenstellplatz zum Kaufpreis von 101.714 DM, die als Ehewohnung diente. Der Kaufpreis wurde aus Mitteln des Erblassers aufgebracht, als Eigentümerin wurde die Ehefrau des Erblassers am 29.4.1992 im Grundbuch eingetragen.
Am 19.7.1992 errichteten die Eheleute privatschriftlich ein gemeinschaftliches Testament, in dem es heißt:
Testament
Wir setzen uns hiermit gegenseitig zum Erben ein (Alleinerben!).
Für den Fall des Todes des letzten der beiden oben genannten bestimmen wir, dass der/die Alleinerbe/erbin des gesamten beweglichen und unbeweglichen Nachlasses einschl. aller vorhandenen Geldwerte und Ansprüche die Familie … (Beteiligte zu 2) und 3) sowie deren Tochter (Beteiligte zu 4) werden soll.
Von der Erbfolge gänzlich ausgeschlossen werden:
1. die Beteiligte zu 1)
2. deren leibliche Töchter.
Am 30.4.1993 verstarb die Ehefrau des Erblassers. Diesem wurde am 7.9.1993 ein Erbschein dahingehend erteilt, dass er seine Ehefrau allein beerbt hat. Deren Nachlass bestand im Wesentlichen aus der 1991 erworbenen Eigentumswohnung.
Der Erblasser errichtete am 18.9.1993, am 31.12.1993 und am 4.9.1994 verschiedene privatschriftliche Testamente, in denen er Vermächtnisse und Ersatzerbenregelungen verfügte, aber grundsätzlich an der Erbeinsetzung der Familie des Beteiligten zu 2) bzw. des Beteiligten zu 2) festhielt. Die Testamente vom 31.12.1993 sind durchgestrichen, das Testament vom 4.9.1994 ist vom Erblasser am 25.9.1994 ausdrücklich widerrufen worden.
Am 18.2.1998 errichtete der Erblasser ein privatschriftliches Testament, in dem es heißt:
Ich hebe hiermit das am 19.7.1992 errichtete „Testament auf Gegenseitigkeit” auf, gem. § 2271 BGB 1, Ausgabe 1997.
Damit wird v.g. gegenseitiges Testament ebenso ungültig, wie alle anderen evtl. existierenden Testamente und Nachträge.
Bedingt durch den Tod seiner Ehefrau verfügt der überlebende Ehegatte seinen „nur noch ausnahmsweise” möglichen Widerruf auf dem gemeinsam errichteten Testament gem. § 2271/2294 und 2336 (1) bis (3).
Im Einzelnen wird festgelegt und begründet:
– Der Bedachte … (Beteiligter zu 2) hat sich gem. § 2294 einer „Verfehlung schuldig gemacht”, die den Erblasser zur Entziehung des Pflichtteils berechtigt … .
1. In Sachen Bargeld … setze ich meine Mutter (Beteiligte zu 1) zur Alleinerbin ein.
2. Sollte meine Mutter abgelebt haben, setze ich zu gleichen Teilen meine beiden Schwestern ein.
Meine Immobilien und sonstige Habe fallen ebenfalls an meine Schwestern.
Nach dem Tod des Erblassers am 24.8.2000 erteilte das Nachlassgericht der Beteiligten zu 1) auf ihren Antrag am 31.10.2000 einen Erbschein, der sie als Alleinerbin des Erblassers ausweist. Die Beteiligten zu 2) bis 4) beantragten, diesen Erbschein einzuziehen und ihnen einen gemeinschaftlichen Erbschein zu erteilen, der sie als Miterben zu gleichen Teilen ausweisen solle. Sie sind der Auffassung, das Testament vom 19.7.1992 enthalte bezüglich der Schlusserbeneinsetzung eine wechselbezügliche Verfügung, die der Erblasser nicht mehr habe widerrufen können.
Mit Beschluss vom 17.1.2001 wies das Nachlassgericht den Einziehungsantrag und den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 2) bis 4) zurück....