Entscheidungsstichwort (Thema)
Missbrauch. Kind. sexuell. Körperkontakt. Schriften. kinderpornographisch. jugendpornographisch. Revision. Aufhebung. Zurückverweisung. Sachrüge. Berufung. Berufungsurteil. Ersturteil. Berufungsbeschränkung. Rechtsfolgenausspruch. Strafausspruch. Schuldspruch. Feststellungen. unklar. lückenhaft. widersprüchlich. knapp. defizitär. dürftig. strafbar. Berührung. Griff. Anfassen. Körperstelle. Brust. Geschlechtsorgan. bekleidet. unbekleidet. Erheblichkeit. sexualbezogen. kurz. flüchtig. unbedeutend. belanglos. Rechtsgutsbeeinträchtigung. Gesamtbetrachtung. Gefährlichkeit. Vertrauensverhältnis. Ausnutzung. Mutter. Kindesmutter. Doppelverwertungsverbot
Leitsatz (amtlich)
1. Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, wenn im Falle einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern aufgrund unzulänglicher Feststellungen des Erstgerichts nicht beurteilt werden kann, ob die Erheblichkeitsschwelle des § 184h Nr. 1 StGB überschritten ist.
2. Die strafschärfende Berücksichtigung von Umständen (hier: Ausnutzung eines besonderen Vertrauensverhältnisses) ist nur dann rechtsfehlerfrei, wenn diese von den getroffenen Feststellungen getragen werden.
Normenkette
StGB § 46 Abs. 3, § 176 Abs. 1 Nr. 1, § 184h Nr. 1; StPO § 318 S. 1, §§ 327, 333, 341 Abs. 1, §§ 344-345, 349 Abs. 2, 4, §§ 353, 354 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
LG Aschaffenburg (Entscheidung vom 05.07.2023) |
Tenor
I.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 5. Juli 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.
II.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts Aschaffenburg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht als Jugendschutzgericht - Aschaffenburg hat den Angeklagten am 28.03.2023 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei tateinheitlichen Fällen, sexuellen Missbrauchs von Kindern, sexuellen Missbrauchs von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind in zwei tateinheitlichen Fällen sowie Besitzes kinderpornographischer Schriften in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Schriften, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, in der Berufungshauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht - Jugendkammer als Jugendschutzkammer - Aschaffenburg, welches die Berufungsbeschränkung insgesamt für wirksam erachtet hat, mit Urteil vom 05.07.2023 als unbegründet verworfen. Mit seiner gegen das Berufungsurteil gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Mit Zuleitungsschrift vom 22.09.2023 beantragt die Generalstaatsanwaltschaft, die Revision des Angeklagten durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die statthafte (§ 333 StPO) und auch im Übrigen zulässige (§ 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO), auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils (§ 349 Abs. 4 StPO) und zur Zurückverweisung der Sache.
1. Im Fall II. 2.b) des amtsgerichtlichen Urteils ist das Landgericht zu Unrecht von der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch gemäß § 318 Satz 1 StPO ausgegangen und hat deshalb keine eigenen Feststellungen zum Schuldspruch getroffen. Aufgrund der Sachrüge ist dies vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen, weil das Fehlen erforderlicher Feststellungen durch die Berufungskammer einen sachlich-rechtlichen Mangel des Berufungsurteils darstellt (st.Rspr., vgl. zuletzt BayObLG, Beschl. v. 12.10.2023 - 202 StRR 72/23 bei juris).
a) Zwar ist die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch grundsätzlich zulässig. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn die dem Schuldspruch im angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Feststellungen tatsächlicher oder rechtlicher Art unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder derart knapp sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen und die erstinstanzlichen Feststellungen deshalb keine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Berufungsgerichts sein können (st.Rspr., vgl. BGH, Beschl. v. 27.04.2017 - 4 StR 547/16 = BGHSt 62, 155 = NJW 2017, 2482 = NZV 2017, 433 = StraFo 2017, 280; Urt. v. 02.12.2015 - 2 StR 258/15 = StV 2017, 314 = BeckRS 2016, 3826), oder wenn unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat (st.Rspr., vgl. etwa BGH, Urt. v. 06.08.2014 - 2 StR 60/14 = NStZ 2014, 635 und Urt. v. 19.03.2013 - 1 StR 318/12 = wistra 2013, 463; BayObLG, Beschl. v. 03.07.2023 - 202 StRR 34/23 bei juris = BeckRS 2023, 17751 u. 18.03.2021 - 202 StRR 19/21 bei juris = BeckRS 2021, 14721; BayObLG a.a.O.).
b) Derartige zur Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch ...