Leitsatz (amtlich)
1. Der Vollzugsbehörde steht bezüglich des unbestimmten Rechtsbegriffs der Missbrauchsbefürchtung ein Beurteilungsspielraum zu mit der Folge, dass das Vorliegen dieser Voraussetzungen im gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt überprüfbar ist.
2. Die Justizvollzugsanstalt hat in ihre Überlegungen zur Missbrauchsbefürchtung mit einzustellen, dass mit zunehmender Dauer der Strafverbüßung der Resozialisierungsaspekt an Bedeutung gewinnt.
Normenkette
BayStVollzG Art. 13
Verfahrensgang
AG Straubing (Entscheidung vom 17.01.2024; Aktenzeichen SR StVK 1558/23) |
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Straubing gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg beim Amtsgericht Straubing vom 17. Januar 2024 wird als unbegründet zurückgewiesen.
2. Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 1000.- Euro festgesetzt.
3. Die Kosten der Rechtsbeschwerde sowie die notwendigen Auslagen des Gefangenen trägt die Landeskasse.
Gründe
I.
Die Justizvollzugsanstalt wendet sich mit ihrer Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg beim Amtsgericht Straubing vom 17. Januar 2024, der Beschwerdeführerin zugestellt am 30. Januar 2024. Die Strafvollstreckungskammer hat auf Antrag des Strafgefangenen festgestellt, dass die Ablehnung von Ausgang durch Bescheid vom 2. November 2023 rechtswidrig war und den Beschwerdegegner in seinen Rechten verletzt.
Die Rechtsbeschwerde der Justizvollzugsanstalt vom 9. Februar 2024, beim Ausgangsgericht eingegangen am 12. Februar 2024, rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Antrag des Strafgefangenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit zurückzuweisen. Der Beschwerdegegner beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
II.
Die gemäß Art. 208 BayStVollzG, § 118 Abs. 1 StVollzG form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist mit der Sachrüge gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG zur Fortbildung des Rechts zu Fragen der Missbrauchsbefürchtung bei Lockerungsentscheidungen zulässig. Sie erweist sich allerdings als unbegründet. Die Überprüfung des angefochtenen Beschlusses auf die Sachrüge hin hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler aufgezeigt. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
1. Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 BayStVollzG kann als Lockerung des Vollzugs angeordnet werden, dass Gefangene für eine bestimmte Tageszeit die Anstalt unter Aufsicht (Ausführung) oder ohne Aufsicht Vollzugsbediensteter (Ausgang) verlassen dürfen. Nach Absatz 2 der Vorschrift dürfen Lockerungen mit Zustimmung der Gefangenen angeordnet werden, wenn nicht zu befürchten ist, dass die Gefangenen sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzugs zu Straftaten missbrauchen werden. Vollzugslockerungen sind danach zwingend zu versagen, wenn zu befürchten ist, dass der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerung zu Straftaten missbrauchen werde. Ein Ermessen ist in diesem Fall nicht eröffnet. Der Missbrauch bezieht sich auf Straftaten aller Art, nicht nur erheblicher (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Juli 2023 - 203 StObWs 225/23 -, juris Rn. 17; Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 11 Rn. 9; Harrendorf/Ullenbruch in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 7. Aufl. 2020, 10. Kapitel Vollzugsöffnende Maßnahmen C II Rn. 53).
2. Der Vollzugsbehörde steht bezüglich des unbestimmten Rechtsbegriffs der Missbrauchsbefürchtung ein Beurteilungsspielraum zu mit der Folge, dass das Vorliegen dieser Voraussetzungen im gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt überprüfbar ist (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 27. November 2023 - 203 StObWs 456/23 -, juris Rn. 12; Senat, Beschluss vom 21. September 2020 - 203 StObWs 318/20 -, juris Rn. 21; KG Berlin, Beschluss vom 22. August 2011 - 2 Ws 258 und 260/11 Vollz -, juris Rn. 50; Arloth/Krä a.a.O. § 11 Rn. 10 und § 115 Rn. 16; Harrendorf/Ullenbruch a.a.O. Rn. 51; kritisch zum Beurteilungsspielraum Spaniol in Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze, 8. Aufl., Teil IV § 115 StVollzG Rn. 30). Bezüglich der Kontrolle des Beurteilungsspielraums ist die Strafvollstreckungskammer auf die Prüfung beschränkt, ob die Vollzugsbehörde von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, alle entscheidungsrelevanten Umstände berücksichtigt, die Grenzen ihres Beurteilungsspielraums eingehalten und die richtigen Wertmaßstäbe angewendet hat (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Juli 2023 - 203 StObWs 225/23 -, juris Rn. 19; Harrendorf/Ullenbruch a.a.O. Rn. 51; Laubenthal in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, a.a.O. 12. Kapitel Rechtsbehelfe § 115 II Rn. 23; Arloth/Krä a.a.O. § 115 Rn. 16 m.w.N.; Bachmann in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baierl, Strafvollzugsgesetze, StVollzG, 13. Aufl., Kap. P II § 115 Rn. 87, 88; Spaniol a.a.o § 115 StVol...