Leitsatz (amtlich)

Bei der Beurteilung, ob eine Härte i.S.v. § 88 Abs. 3 S. 1 BSHG vorliegt, können auch persönliche, aus dem Krankheitsbild des Betroffenen folgende Umstände berücksichtigt werden.

 

Normenkette

BGB § 1836c Nr. 2; BSHG § 88 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 08.05.2003; Aktenzeichen 13 T 2043/03)

AG Nürnberg (Aktenzeichen XVII 2118/02)

 

Tenor

I. Der Beschluss des LG Nürnberg-Fürth vom 8.5.2003 wird aufgehoben.

II. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das LG Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.

 

Gründe

I. Für den Betroffenen ist wegen eines depressiven Syndroms eine berufsmäßige Betreuerin mit dem Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung im Rahmen der Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Vertretung bei Ämtern und Behörden sowie ggü. Sozialleistungs- und Versicherungsträgern bestellt. Die Betreuerin beantragte mit Schreiben vom 31.12.2002 die Festsetzung von Vergütung und Aufwendungersatz für ihre Tätigkeit vom 27.9. bis 20.12.2002 gegen die Staatskasse. Das AG setzte unter Kürzung in einigen Positionen am 27.2.2003 1.411,11 Euro gegen die Staatskasse fest. Hiergegen erhob die Staatskasse sofortige Beschwerde mit der Begründung, der Betroffene besitze einen Pkw mit einem Wert von 5.500 bis 6.000 Euro, der verwertet und zur Deckung der Betreuervergütung eingesetzt werden müsse.

Das LG hat am 8.5.2003 die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Staatskasse.

II. Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig. Sie wurde insb. vom LG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen (§ 56g Abs. 5 S. 2, § 69e S. 1 FGG). In der Sache führt sie zur Aufhebung der Entscheidung des LG und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.

1. Das LG hat in seiner Entscheidung ausgeführt, dass der Betroffene mittellos sei. Sein Pkw gehöre zwar grundsätzlich zum verwertbaren Vermögen i.S.d. § 88 Abs. 1 BSHG. Seine Verwertung würde aber für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten (§ 88 Abs. 3 BSHG). Dabei seien nicht nur die wirtschaftlichen Umstände, wie regelmäßig bei sozialhilferechtlicher Betrachtungsweise, sondern auch persönliche Belange des Betroffenen bedeutsam, die im vorliegenden Fall durch das Krankheitsbild des Betroffenen geprägt seien. Das LG stützt sich bei der Darstellung dieses Krankheitsbildes auf das psychiatrische Kurzgutachten vom 19.3.2003, wonach u.a. aufgrund der angespannten, vom Betroffenen als existenzbedrohend empfundenen finanziellen Situation „weitere Stressoren, wie z.B. der Verkauf seines Pkws, dringend zu vermeiden” seien; die vorhandene latente Suizidalität sei nicht zu unterschätzen. Das LG folgert hieraus, dass die Frage, ob der Pkw zu veräußern sei, in den Verantwortungsbereich der Betreuerin falle. Die Betreuerin habe die Umstände abzuwägen, die für das Ob und das Wann der Veräußerung von Belang sind. Sie sei gehalten, nach einem Jahr darzulegen, welche Hindernisse einem Verkauf des Pkws weiter entgegenstehen. Im jetzigen Zeitpunkt sei der Pkw jedenfalls nicht verwertbar.

2. Diese Feststellungen leiden an einer Verletzung des rechtlichen Gehörs der Staatskasse, sodass sie keinen Bestand haben. Die oben wiedergegebenen Ausführungen aus dem Gutachten vom 19.3.2003 finden sich auf dessen S. 8, die dem Bezirksrevisor nicht mitgeteilt wurde. Dies hat der Bezirksrevisor mit Schreiben vom 15.4.2003 glaubhaft angezeigt und dabei mitgeteilt, er könne keinen Zusammenhang zwischen dem Verkauf des Pkws und der latenten Suizidalität des Betroffenen sehen. Gleichwohl hat das LG ohne weiteres entschieden und sich dabei nicht nur unwesentlich auf die zitierte Passage auf S. 8 des Gutachtens gestützt. Hätte es dem Bezirksrevisor die monierten S. 2, 4, 6 und 8 des Gutachtens noch mitgeteilt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu gegeben, hätte dieser seine Ausführungen, insb. zu Suizidalität des Betroffenen, die er erst mit der Begründung der weiteren Beschwerde vom 22.5.2003 vorbrachte, noch vor der Entscheidung des LG machen können. Es ist nicht auszuschließen, dass die Entscheidung des LG dann anders ausgefallen wäre. Der Verfahrensfehler zwingt zur Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung und, da noch weitere Feststellungen zu treffen sind, zur Zurückverweisung der Sache an das LG.

3. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Ist der Betreute mittellos, kann der Berufsbetreuer Ersatz seiner Aufwendungen und Vergütung seiner Tätigkeit aus der Staatskasse verlangen (§ 1908i Abs. 1 S. 1, § 1835 Abs. 4 S. 1, § 1836a BGB).

Der Betreute gilt u.a. dann als mittellos, wenn er den Aufwendungsersatz oder die Vergütung aus seinem einzusetzenden Einkommen oder Vermögen nicht erbringen kann (§ 1836d Nr. 1 BGB).

Vermögen hat der Betreute nach Maßgabe des § 88 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) einzusetzen (§ 1836c Nr. 2 BGB), mithin grundsätzlich sein gesamtes verwertbares Vermögen (§ 88 Abs. 1 BSHG), soweit keiner der Verschonungstatbestände d...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge