Entscheidungsstichwort (Thema)

Abschiebungshaftsache

 

Leitsatz (amtlich)

Die Verlängerung von Abschiebungshaft über sechs Monate hinaus setzt die Gewißheit voraus, daß das Unterbleiben der Abschiebung innerhalb dieses Zeitraums maßgeblich auf ein zurechenbares pflichtwidriges Verhalten des Betroffenen zurückzuführen ist.

 

Normenkette

AuslG § 57 Abs. 3 S. 2

 

Verfahrensgang

AG Kempten (Aktenzeichen 2 XIV 42/00 B)

LG Kempten (Aktenzeichen 4 T 7/01)

 

Tenor

I. Die sofortige weitere Beschwerde gegen den Beschluß des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 19. Januar 2001 wird zurückgewiesen.

II. Die dem Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen werden der Stadt Kempten (Allgäu) auferlegt.

 

Gründe

I.

Die Ausländerbehörde betreibt die Abschiebung des Betroffenen, eines syrischen Staatsangehörigen.

Mit Beschluß vom 13.12.2000 verlängerte das Amtsgericht mit sofortiger Wirksamkeit die gegen ihn zur Sicherung seiner Abschiebung seit 15.3.2000 vollzogene Abschiebungshaft erneut um längstens drei Monate.

Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht am 19.1.2001 diesen neuerlichen Haftverlängerungsbeschluß aufgehoben und den ihm zugrunde liegenden Antrag der Ausländerbehörde abgelehnt.

Hiergegen wendet sich die Ausländerbehörde mit der sofortigen weiteren Beschwerde.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung damit begründet, daß weitere Abschiebungshaft unverhältnismäßig sei. Es bestünden keine sinnvollen und konkreten Möglichkeiten mehr, die Identität des Betroffenen ohne dessen Mitwirkung festzustellen. Es sei davon auszugehen, daß der Betroffene hinsichtlich seiner Identität keine bzw. keine sachdienlichen Angaben machen werde. Seine bisherigen Angaben hätten sich als falsch herausgestellt. Die Anfragen an das syrische Außenministerium bzw. bei der syrischen Botschaft seien ergebnislos gewesen. Eine Vorführung des Betroffenen bei der syrischen Botschaft erscheine nicht sinnvoll.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hat im Ergebnis Bestand.

a) Zwar begegnet deren Begründung durchgreifenden rechtlichen Bedenken (§ 103 Abs. 2 Satz 1 AuslG, § 3 Satz 2 FreihEntzG, § 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO). Das Landgericht hat nicht hinreichend dargelegt, weshalb es die Angaben des Betroffenen zu seiner Identität für falsch und aufgrund welcher Erwägungen es die Bemühungen der Ausländerbehörde um die Erlangung eines Heimreisescheins für endgültig gescheitert hält (vgl. hierzu BayObLGZ 1997, 350/352; OLG Hamm InfAuslR 1998, 351). Der Akteninhalt bietet für diese Schlußfolgerungen keine ausreichende tatsächliche Grundlage.

b) Gleichwohl besteht kein Anlaß, die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen. Vielmehr kann der Senat selbst entscheiden, weil er, ohne daß es weiterer Ermittlungen bedarf, die für die Beurteilung der Zulässigkeit weiterer Abschiebungshaft erforderlichen Feststellungen aus den Akten treffen kann (vgl. BGHZ 35, 135/142 f.; BayObLGZ 1985, 63/66).

aa) Sicherungshaft kann über sechs Monate hinaus nur verlängert werden, wenn der Betroffene die Ausländerbehörde durch ein von ihm zu vertretendes pflichtwidriges Tun oder Unterlassen daran gehindert hat, ihn innerhalb der grundsätzlichen Hafthöchstdauer von sechs Monaten abzuschieben (§ 57 Abs. 3 Satz 2 AUSlG; vgl. hierzu OLG Hamm FGPrax 1997, 77/78; KG FGPrax 1995, 128/129; Saarl. OLG FGPrax 1999, 243). Ein pflichtwidriges Unterlassen in diesem Sinne kann darin bestehen, daß der Betroffene sich entgegen § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG weigert, in dem erforderlichen Maß an der Beschaffung der notwendigen Heimreisedokumente mitzuwirken (vgl. BT-Drucks. 12/4450 S. 18; OLG Braunschweig Nds. Rpfl. 1995, 394; OLG Düsseldorf InfAuslR 1995, 209 und 1995, 367/368; OLG Hamm FGPrax 1997, 77/78; SchlHOLG AuAS 1999, 16). Das Unterbleiben der Abschiebung in dem genannten Zeitraum muß maßgeblich auf das zurechenbare pflichtwidrige Verhalten des Betroffenen zurückzuführen sein (vgl. OLG Düsseldorf aaO; KG FGPrax 1995, 128/129; Saarl. OLG FGPrax 1999, 243/244). Die Voraussetzungen des § 57 Abs. 3 Satz 2 AuslG müssen feststehen. Verbleiben Zweifel, darf der Betroffene nicht über sechs Monate hinaus in Haft gehalten werden (vgl. KG PGPrax 1995, 128/129).

bb) So liegt der Fall hier. Es fehlen hinreichende Anhaltspunkte dafür, daß die vom Betroffenen angegebenen Personalien falsch sind. Ob ihm zum Vorwurf gemacht werden kann, seine in Aleppo/Syrien bzw. in der Bundesrepublik lebenden Verwandten nicht um die Übermittlung eines Identitätsnachweises gebeten zu haben, kann dahinstehen. Der Senat vermag sich nämlich keine Überzeugung dahin zu bilden, daß ein – unterstellt erfolgreiches – Tätigwerden des Betroffenen in dieser Richtung seine Abschiebung innerhalb von sechs Monaten ermöglicht hätte. Die Behandlung der Sache durch die syrischen Behörden rechtfertigt es, hieran ernsthaft zu zweifeln. Die Ausländerbehörde hat der syrischen Botschaft die bei der Festnahme des Betroffenen vorgefundene Kopie des syrischen Reisepasses bzw. s...

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