Leitsatz (amtlich)
1. Eine Verurteilung nach § 130 Abs. 3 StGB setzt hinreichende Feststellungen zur Zielsetzung der Äußerung voraus. Das Merkmal des Verharmlosens ist erfüllt, wenn der Äußernde die Anknüpfungstatsachen für die Tatsächlichkeit der NS-Gewalttaten herunterspielt, beschönigt, in ihrem wahren Gewicht verschleiert oder in ihrem Unwertgehalt bagatellisiert oder relativiert. Der Täter muss in qualitativer oder quantitativer Hinsicht Art, Ausmaß, Folgen oder Unrechtsgehalt einzelner oder die Gesamtheit nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen herunterspielen.
2. In der Darstellung eines Bundeslandes als Unrechtsstaat kann im Einzelfall auch eine nach § 90a StGB tatbestandsmäßige Verunglimpfung eines Staatswesens zu sehen sein.
Normenkette
StGB § 130 Abs. 3; GVG § 74 Abs. 3
Verfahrensgang
AG Neustadt a.d. Aisch (Entscheidung vom 31.03.2022) |
LG Nürnberg-Fürth (Entscheidung vom 09.06.2022; Aktenzeichen 11 Ns 402 Js 66371/21) |
Tenor
I.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 9. Juni 2022 samt den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
II.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat mit Urteil vom 9. Juni 2022 die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Neustadt a.d. Aisch vom 31. März 2022 mit der Maßgabe verworfen, dass die Höhe des Tagessatzes 10.- Euro beträgt. Das Amtsgericht hatte gegen den Angeklagten am 31. März 2022 wegen Volksverhetzung eine Geldstrafe von 110 Tagessätzen zu je 25.- Euro verhängt. Mit seiner Revision wendet sich der Angeklagte gegen das Urteil des Landgerichts mit formellen und materiellen Rügen. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die nach §§ 333, 341 Abs. 1, §§ 344, 345 Abs. 1 StPO zulässige Revision des Angeklagten ist auf die Sachrüge hin begründet. Die Feststellungen des Landgerichts tragen nicht die Verurteilung des Angeklagten wegen Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB.
Nach § 130 Abs. 3 StGB macht sich strafbar, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost. Das Merkmal des Verharmlosens ist erfüllt, wenn der Äußernde die Anknüpfungstatsachen für die Tatsächlichkeit der NS-Gewalttaten herunterspielt, beschönigt, in ihrem wahren Gewicht verschleiert oder in ihrem Unwertgehalt bagatellisiert oder relativiert (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2004 - 2 StR 365/04 -, juris Rn. 24; Krauß in Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2009, § 130 Volksverhetzung Rn. 107). Der Täter muss in qualitativer oder quantitativer Hinsicht Art, Ausmaß, Folgen oder Unrechtsgehalt einzelner oder die Gesamtheit nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen herunterspielen (vgl. Krauß a.a.O.).
Ein solches Relativieren und Bagatellisieren ist durch die Feststellungen des Landgerichts nicht belegt. Danach postete der Angeklagte am 15. Januar 2021 in die Telegram-Gruppe "dd2_Plz91", zugänglich für 148 Teilnehmer der Gruppe, zu angeblichen Plänen des Freistaates Sachsen, einen "Knast für Quarantäne-Verweigerer" einzurichten, als Reaktion auf den Kommentar einer Nutzerin, dass dies gar nicht schlimm sei, folgenden Beitrag: "Ja, evtll gibt es dort auch Duschräume und Impfzentren. Wahrscheinlich auch gestreifte Einheitskleidung. Wenn ich der Staat wäre würde ich solche Lager mit Bahnanbindung bauen". Das Landgericht hat in dieser Äußerung eine vergleichende Gegenüberstellung der Judenverfolgung und -vernichtung in den Konzentrationslagern unter der Herrschaft des Nationalsozialismus einerseits und möglichen politischen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gesehen, wodurch der Angeklagte die Judenvernichtung gröblich herabgesetzt und verharmlost hätte.
Auf der Grundlage der Feststellungen zum Wortlaut der Äußerungen konnte das Landgericht hier nach der verfassungsmäßig gebotenen Auslegung der vom Angeklagten verwendeten Formulierungen jedoch nicht ohne weiteres von einer Verharmlosung der Judenverfolgung und Judenvernichtung ausgehen. Zwar hat das Bayerische Oberste Landesgericht einen Vergleich der Stimmung gegen die AfD und ihre Mitglieder mit dem nationalsozialistischen Völkermord von bis zu 6 Millionen Juden als Volksverhetzung angesehen, weil durch die Gleichsetzung von bloßen Befindlichkeiten und Belästigungen mit dem Holocaust den Verbrechen des nationalsozialistischen Unrechtsstaates deren Dimension abgesprochen und ihr Unrechtsgehalt beschönigt wurde (vgl. BayObLG, Beschluss vom 25. Juni 2020 - 205 StRR 240/20 -, juris; ähnlich Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Entscheidung vom 5. Juli 2022 - 1854/22 -, juris Rn. 12). Ob dies indes der Zielse...