Leitsatz (amtlich)
1. Zum Primärrechtsschutz und zur Antragsbefugnis eines Unternehmens, das geltend macht, durch die unterlassene Ausschreibung eines Dienstleistungsauftrags in Bieterrechten verletzt zu sein.
2. Zur Rügeobliegenheit bei unterbliebenem Vergabeverfahren.
3. Zu den Voraussetzungen eines Eigengeschäfts (so genannte in-house-Vergabe) bei Vergabe eines Entsorgungsauftrags an eine gemischt-wirtschaftliche Gesellschaft (GmbH), an der die öffentliche Auftraggeberseite mit 51 % beteiligt ist.
Normenkette
GWB § 97 Abs. 1 u. 7, § 99 Abs. 1 u. 4, § 100 Abs. 2 Buchst. g, § 107 Abs. 2 u. 3; KrW-/AbfG § 16 Abs. 1; BayAbfG Art. 3, 8
Verfahrensgang
Vergabekammer Südbayern (Aktenzeichen 120.3-3194.1-32-09/01) |
Tenor
I. Die sofortigen Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen gegen den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 24.10.2001 werden zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 100.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragsgegnerin ist entsorgungspflichtige Körperschaft für in ihrem Gebiet anfallende Abfälle. Sie gehört dem Abfallzweckverband A. (im Folgenden AZV) an, dessen Mitglieder neben ihr der Landkreis A. und der Landkreis B. sind. In diesem Verband stellt die Antragsgegnerin sieben der vierzehn Verbandsräte. Beschlüsse der Verbandsversammlung werden, soweit gesetzliche Regelungen oder die Verbandssatzung nichts anderes vorschreiben, mit einfacher Stimmenmehrheit gefasst, bei Stimmengleichheit ist der Antrag abgelehnt.
Durch Gesellschaftsvertrag vom 20.12.1991 wurde die Beigeladene als Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet. An ihr sind der AZV mit 51 % und eine auf dem Entsorgungssektor tätige private GmbH mit 49 % beteiligt. Gegenstand des Unternehmens ist der Bau und der Betrieb von Abfallverwertungs- und -behandlungsanlagen für Siedlungsabfälle, die im Gebiet des AZV anfallen. Die Gesellschaft kann aber auch andere Entsorgungs- und Verwertungsleistungen, z.B. im Rahmen des Dualen Systems, erbringen, und ist zu allen Maßnahmen und Geschäften berechtigt, die der Erreichung oder Forderung des Gesellschaftszwecks unmittelbar oder mittelbar dienen. In der Gesellschafterversammlung und im Aufsichtsrat, deren Beschlüsse überwiegend mit einfacher Mehrheit gefasst werden, stellt jeweils der AZV die Mehrheit der Mitglieder. Über die Feststellung des Jahresabschlusses, die Verwendung des Ergebnisses, die Entlastung der Geschäftsführer und des Aufsichtsrates, die Änderung des Gesellschaftsvertrages, den Abschluss und die Änderung von Verträgen zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern sowie die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer ist nach § 6 Abs. 1 S. 1 Buchst. a, b, e, i, j, S. 2 des Gesellschaftsvertrages (GV) jedoch Einstimmigkeit erforderlich. Beschlüsse des Aufsichtsrats nach § 8 Abs. 5 GV (Konzept zur Finanzierung der Verwertungs- und Behandlungsanlagen der Gesellschaft, Feststellung und Änderung der von den Geschäftsführern aufzustellenden Wirtschafts- und Finanzpläne sowie des Stellenplans) bedürfen gem. § 7 Abs. 4 S. 1 GV einer qualifizierten Mehrheit, die nur erreicht werden kann, wenn auch Vertreter der privaten Gesellschafterin zustimmen.
Die Antragsgegnerin ließ aufgrund eines Liefer- und Abnahmevertrags aus dem Jahr 1997 die Sortierung und Verwertung von Altpapier von der Antragstellerin erbringen. Am 24.1.2001 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sie im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Auslastung der von der Beigeladenen betriebenen Abfallverwertungsanlage sehr daran interessiert sei, nach ordentlicher Kündigung des Vertrags zum Jahresende 2001 die Sortierung und Verwertung von Altpapier der Beigeladenen zu übertragen. Nichtsdestoweniger erbat sie aus Wirtschaftlichkeitsgründen von der Antragstellerin ein Preisangebot, das diese am 16.5.2001 abgab. Am 7.6.2001 kündigte die Antragsgegnerin den Liefer- und Abnahmevertrag zum 31.12.2001. Am 5.7.2001 beschloss der Stadtrat der Antragsgegnerin, den Auftrag an die Beigeladene zu vergeben. Weitere Bemühungen der Antragstellerin, als Subunternehmerin mit der Beigeladenen ins Geschäft zu kommen, blieben erfolglos. Die Antragstellerin rügte schließlich gegenüber der Antragsgegnerin nach vorangegangener interner Abklärung über die Maßgeblichkeit des Vergaberechts am 3.9.2001 mündlich und am 5.9.2001 schriftlich die bevorstehende Auftragserteilung außerhalb eines vergaberechtlichen Verfahrens.
Am 13.9.2001 hat die Antragstellerin bei der Vergabekammer die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens mit dem Ziel beantragt, es der Antragsgegnerin zu untersagen, den Auftrag der Sortierung und/oder Vermarktung von Altpapier, das im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin anfällt, ohne öffentliche Ausschreibung gem. VOL/A an die Beigeladene zu vergeben, und die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Sortierung und/oder Vermarktung von Altpapier nur in einem Vergabeverfahren...