Entscheidungsstichwort (Thema)
Leiharbeitnehmer. Festhalteerklärung. Weiterbeschäftigung über 18 Monate. Ordnungswidrigkeit trotz Fiktion Arbeitsvertrag. einheitlicher und gesonderter Tatentschluss. Überlassung mehrerer Leiharbeitnehmer. Niederlassungsfreiheit. Dienstleistungsfreiheit. Tateinheit. Tatmehrheit. Bemessung Geldbuße. wirtschaftliche Verhältnisse. Unterhaltspflichten. Vorsatz. Tatbestandsirrtum. Verbotsirrtum. Beschlussverfahren nach durchgeführter Hauptverhandlung. Beschlussgründe. Feststellung entscheidungserheblicher Tatsachen. Beweiswürdigung. Akteninhalt. Unerlaubte Weiterbeschäftigung eines Leiharbeitnehmers über 18 Monate hinaus beim selben Entleiher
Leitsatz (amtlich)
1. Die Weiterbeschäftigung eines Leiharbeitnehmers über 18 Monate hinaus bei demselben Entleiher stellt auch dann ordnungswidriges Verhalten des Verleihers nach §§ 1 Abs. 1b Satz 1 , 16 Abs. 1 Nr. 1e AÜG dar, wenn der Leiharbeitnehmer eine Festhalteerklärung abgegeben hat. Diese führt nach § 9 Abs. 1 Nr. 1b 2.HS. AÜG lediglich dazu, dass das Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer entgegen § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG für die Dauer von maximal weiteren 18 Monaten (zivilrechtlich) wirksam bleibt.
2. Die in § 1 Abs. 1b AÜG geregelte Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten greift weder in unzulässiger Weise in die Grundrechte von Verleihern nach Art. 12 Abs. 1 GG ein noch steht ihrer Wirksamkeit die Dienstleistungs- bzw. Niederlassungsfreiheit des Verleihers ( Art. 49 , 56 AEUV ) entgegen.
3. Beruht die gleichzeitige (weitere) Überlassung mehrerer Leiharbeitnehmer an denselben Entleiher auf einem einheitlichen Tatentschluss, so liegt die Annahme von Tateinheit i. S. d. § 19 OWiG nahe.
Normenkette
OWiG § 72 Abs. 3, § 79 Abs. 2, § 80a Abs. 2 S. 1, § 11 Abs. 1-2, § 17 Abs. 3, §§ 19-20; AÜG § 1 Abs. 1b, § 9 Abs. 1 Nr. 1b Hs. 2, § 10 Abs. 1 S. 1, § 16 Abs. 1 Nr. 1e; AEUV Art. 49, 56
Tenor
I.
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts vom 15.07.2019 mit den Feststellungen aufgehoben.
II.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat zunächst am 07.06.2019 eine Hauptverhandlung durchgeführt und nach Eingang ergänzender Erklärungen der Verteidigung die Betroffene durch Beschluss nach § 72 Abs. 1 OWiG vom 15.07.2019 wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen die Höchstüberlassungsdauer in zehn Fällen zu zehn Geldbußen in Höhe von jeweils 2.000 € und wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen die Höchstüberlassungsdauer in einem weiteren Fall zu einer Geldbuße in Höhe von 1.500 € verurteilt.
Mit ihrer gegen diesen Beschluss gerichteten Rechtsbeschwerde rügt die Betroffene die Verletzung materiellen Rechts und führt insbesondere aus, dass die dem Ordnungswidrigkeitentatbestand zugrunde liegende Bestimmung des § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG gegen höherrangiges Recht verstoßen würde.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 20.11.2019 beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts vom 15.07.2019 aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde der Betroffenen hat - zumindest vorläufig - Erfolg, da die getroffenen Feststellungen zum Sachverhalt und zur Beweiswürdigung lückenhaft sind und damit den getroffenen Schuldspruch nicht tragen.
1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Beschlusses hat die Betroffene als Geschäftsinhaberin der Fa. X. zehn namentlich bezeichnete Leiharbeitnehmer entgegen § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG über den 30.09.2018 hinaus und damit länger als 18 Monate sowie einen weiteren namentlich bezeichneten Arbeitnehmer über den 18.12.2018 hinaus und damit länger als 18 Monate an die Firma Z. überlassen. Die betroffenen Leiharbeitnehmer, allesamt Kraftfahrer, haben bei der Bundesagentur vorgesprochen und sogenannte Festhaltenserklärungen abgegeben. Seit welchem Zeitpunkt die Leiharbeitnehmer bei der Fa. X. beschäftigt sind, teilt das Amtsgericht nicht mit. Im Rahmen der Beweiswürdigung wird lediglich ausgeführt, dass die Betroffene den Sachverhalt voll umfänglich eingeräumt habe, aber der Meinung sei, dass der Sachverhalt keine Ordnungswidrigkeit darstelle, da die Festhaltenserklärungen der Leiharbeitnehmer bestätigen würden, dass die Leiharbeitnehmer bei der Betroffenen rechtlich besser gestellt seien als bei Übernahmen durch die Entleihfirma. Die vermittelten Leiharbeitnehmer würden über Fähigkeiten zum Fahren eines Treibstoffkraftfahrzeuges und insbesondere über das spezifische Fachwissen zum Be- und Entladen verfügen. Es dauere vier bis sechs Monate, bis ein Kraftfahrer in der Lage sei, die Aufgaben im Zusammenhang mit dem Treibstofftransport zu bewältigen. Anderen Entleihfirmen könnten diese Leiharbeitnehmer nicht überlassen werden, da sie über absolut vertrauliches Know-how des Arbeitgebers - gem...