Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmittel. Rechtsmittelverwerfung. Rechtsbeschwerde. Zulassungsrechtsbeschwerde. Rechtsmittelfrist. Einlegungsfrist. Wochenfrist. Einlegungsschrift. Eingang. Akte. Telefax. Fax. Faxgerät. Faxjournal. defekt. Sendebericht. Säumnis. versäumt. verspätet. verfristet. fristgerecht. rechtzeitig. Geschäftsstelle. Zweifel. Wiedereinsetzung
Normenkette
StPO § 267 Abs. 4 S. 4, § 275 Abs. 1 S. 2, § 341 Abs. 1, §§ 346, 349; OWiG § 71 Abs. 1, § 73 Abs. 3, § 77b Abs. 1 S. 1 Hs. 2, § 79 Abs. 4, § 80 Abs. 3 Sätze 1, 3, § 80a Abs. 1
Tenor
Der Beschluss des Amtsgerichts vom 28.04.2020 wird aufgehoben.
Gründe
I.
Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen am 10.03.2020 wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße von 100 Euro. Bei der Hauptverhandlung war der bevollmächtigte Verteidiger anwesend, der Betroffene war von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden worden. Von der Fertigung von Urteilsgründen sah der Tatrichter ab. Am 19.03.2020 ging beim Amtsgericht der Schriftsatz des Verteidigers vom 17.03.2020 ein, mit dem dieser gegen das vorgenannte Urteil "Rechtsbeschwerde" einlegte. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 28.04.2020 wurde der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 10.03.2020 als unzulässig verworfen, da das Rechtsmittel erst nach Ablauf der Wochenfrist bei Gericht eingegangen sei. Gegen diesen ihm am 30.04.2020 zugestellten Beschluss beantragte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 05.05.2020, beim Amtsgericht eingegangen am selben Tag, die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Zur Begründung wies er darauf hin, dass er tatsächlich die Rechtsbeschwerde bereits am 17.03.2020 vorab per Telefax an das zuständige Amtsgericht übersandt habe. Das Telefax vom 17.03.2020 ist zu keinem Zeitpunkt zur Akte gelangt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Stellungnahme vom 31.05.2020 beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts vom 28.04.2020 aufzuheben und die Sache zur Begründung des Urteils vom 10.03.2020 an das Amtsgericht zurückzugeben. Diesem Antrag hat sich der Verteidiger mit Schriftsatz vom 20.07.2020 angeschlossen.
II.
1. Der zulässige Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erweist sich als begründet, da der Betroffene die Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht versäumt hat.
a) Nach §§ 80 Abs. 3 Satz 1 , 79 Abs. 4 OWiG beginnt die Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde im Fall der Abwesenheit des Betroffenen bei Verkündung des Urteils bereits mit Urteilsverkündung, wenn der Betroffene durch einen nach § 73 Abs. 3 OWiG schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertreten war. Die einwöchige Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ( § 341 Abs. 1 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG ) begann damit mit Verkündung des Urteils am 10.03.2020 und lief bis einschließlich 17.03.2020. Die am 19.03.2020 eingegangene und zu den Akten gelangte "Rechtsbeschwerde" des Betroffenen war daher verspätet.
b) Allerdings ließ sich vorliegend nicht klären, ob der Schriftsatz vom 17.03.2020 nicht bereits an diesem Tag beim Amtsgericht eingegangen ist. Hierfür spricht zwar der vom Verteidiger vorgelegte Fax-Sendebericht, aus dem sich ergibt, dass der Schriftsatz, durch welchen Rechtsbeschwerde eingelegt wurde, am 17.03.2020 um 17:27 Uhr mit dem Ergebnis "OK" dem Amtsgericht übermittelt worden ist. Der vorgelegte Sendebericht vermag jedoch den ordnungsgemäßen Eingang des Faxschreibens beim Adressaten nicht zu beweisen (vgl. KG, Beschl. v. 01.11.2005 - 2 Ss 194/05 - 3 Ws (B) 490/05 bei juris; OLG Düsseldorf NJW 1995, 2303 ). Ausweislich des Vermerks der Geschäftsstelle des Amtsgerichts vom 20.07.2020 war das Faxgerät am 17.03.2020 in dem Zeitraum zwischen 14:48 Uhr bis 18:12 Uhr defekt. Ein Faxjournal konnte deshalb nicht ausgedruckt werden. Es bleibt damit offen, ob das per Fax eingelegte Rechtsmittel tatsächlich noch am 17.03.2020 vom Faxgerät empfangen worden ist. Ist der Eingang einer Einlegungserklärung überhaupt festgestellt, bestehen jedoch nicht behebbare tatsächliche Zweifel an der Einhaltung oder Versäumung der Einlegungsfrist, so wirken sie zugunsten des Beschwerdeführers. Eine verspätet eingelegte oder begründete Revision bzw. Rechtsbeschwerde muss von dem zuständigen Gericht als unzulässig verworfen werden ( §§ 346 , 349 StPO ); dies aber nur dann, wenn zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass sie verspätet eingelegt ist. Bleibt dies zweifelhaft, so ist das Gericht nicht zur Verwerfung des Rechtsmittels befugt, sondern muss es als rechtzeitig behandeln (vgl. neben BGH NJW 1960, 2202 u.a. BGH, Beschl. v. 02.05.1995 - 1 StR 123/95 = StV 1995, 454 = BGHR StPO § 341 Frist 1 und v. 11.10.2017- 5 StR 377/17 bei juris sowie schon BayObLG, Urt. v. 09.12.1965 - 4b St 79/1965 = BayObLGSt 1965, 142; Meyer-Goßner/ Schmitt StPO 63. Aufl. § 261 Rn. 35 m.w.N.). So liegt es hier. A...