Entscheidungsstichwort (Thema)
Urteil. Urteilsgründe. Freispruch. Aufhebung. Zurückverweisung. Rechtsbeschwerde. Zulassungsrechtsbeschwerde. Zulassung. Rechtsfortbildung. Ausgangsbeschränkung. Sachrüge. Corona. Corona-Virus. Pandemie. Infektionsschutz. Grund. triftig. Wohnung. Verlassen. Weggehen. Verweilen. Versorgungsgang. Schnellimbiss. Restaurant. Verabredung. Einkaufen. Essen. Speise. Wortlaut. Wortsinn. Motiv. Motivwechsel. Zweckerreichung. Koinzidenzprinzip. Auslegung. Bestimmtheitsgebot. Analogie. Analogieverbot. teleologisch. Extension. Gesetzesinterpretation. Ahndungslücke. Tun. Unterlassen. Garantenpflicht. Garantenstellung. Rechtspflicht. Ingerenz. Beweggrund. Normadressat. Gesamtwürdigung. Gesamtbetrachtung. Schutzzweck. Gruppenbildung. Zeitgesetz
Leitsatz (amtlich)
1. Von der bußgeldbewehrten Ausgangsbeschränkung nach § 4 Abs. 2 der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung - BayIfSMV vom 27.03.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 158) in der Fassung der Verordnung zur Änderung der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 31.03.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 162) war nur das Verlassen der Wohnung ohne triftigen Grund erfasst.
2. Als "Versorgungsgang für Gegenstände des täglichen Bedarfs", der nach § 4 Abs. 3 Nr. 3 BayIfSMV einen triftigen Grund für das Verlassen der Wohnung darstellte, ist allein der "Gang" zum Geschäft und zurück zur Wohnung anzuerkennen, nicht aber, wenn darüber hinaus bereits beim Verlassen der Wohnung weitere Betätigungen beabsichtigt waren, die ihrerseits keinen triftigen Grund darstellten, nicht in zwingendem Zusammenhang mit dem Versorgungsgang standen und den Aufenthalt außerhalb der Wohnung über das für die Beschaffung erforderliche Maß hinaus ausdehnten.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 2; BayIfSMV § 4 Abs. 2 Fassung: 2020-03-27, Abs. 3 Fassung: 2020-03-27, § 5 Nr. 9 Fassung: 2020-03-27; IfSG § 73 Abs. 1a Nr. 24 Fassung: 2020-03-29; OWiG §§ 3, 4 Abs. 4 S. 1, §§ 8, 71 Abs. 1, § 79 Abs. 1 S. 2, Abs. 5 S. 1, Abs. 6, § 80 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1, § 80a Abs. 1 Hs. 2, Abs. 3 S. 1; StPO § 267 Abs. 5 S. 1, § 354 Abs. 2
Tenor
I.
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts vom 01.02.2021 mit den Feststellungen aufgehoben.
II.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen von dem gegen ihn mit Bußgeldbescheid der Stadt T. vom 20.05.2020 erhobenen und mit einer Geldbuße in Höhe von 150 Euro geahndeten Tatvorwurf, vorsätzlich gegen die vorläufige Ausgangsbeschränkung nach § 5 Nr. 9 i.V.m. § 4 Abs. 2 der Bayerischen Verordnung über Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie (Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung - BayIfSMV) vom 27.03.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 158 vom 27.03.2020) in der Fassung der am 01.04.2020 in Kraft und mit Ablauf des 19.04.2020 außer Kraft getretenen Verordnung zur Änderung der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 31.03.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 162 vom 31.03.2020) verstoßen zu haben, aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Ihm lag zur Last, seine Wohnung am 13.04.2020 ohne triftigen Grund verlassen, sich gegen 13:20 Uhr zusammen mit 2 anderen Personen auf einem Parkplatz eines Schnellimbissrestaurants aufgehalten und dabei einen Mindestabstand von 1,5 m nicht eingehalten zu haben.
Mit ihrer gegen das freisprechende Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde, deren Zulassung sie beantragt, rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts.
II.
Die von der Einzelrichterin nach § 79 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. OWiG zur Fortbildung des Rechts zugelassene und gemäß § 80a Abs. 1, 2. Halbsatz i.V.m. Abs. 3 Satz 1 OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zur Entscheidung übertragene Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. Das form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts.
III.
1. Die angefochtene Entscheidung unterliegt bereits deswegen der Aufhebung, weil die Darstellung der Gründe nicht den Anforderungen ( § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO ) an ein freisprechendes Urteil genügt.
a) Das Urteil des Amtsgerichts hält sachlich-rechtlicher Überprüfung schon deshalb nicht stand, weil es keine ausreichenden Feststellungen enthält, welche die Beurteilung zuließen, ob der Freispruch zu Recht erfolgt ist. Auch wenn ein Gericht den Betroffenen aus Rechtsgründen freispricht, muss es Feststellungen zur Sache treffen, um dem Revisionsgericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob das Recht auf den festgestellten Sachverhalt richtig angewendet wurde (st.Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 22.03.2018 - 5 StR 566/17 = BGHSt 63, 107 = NJW 2018, 1767 = AnwBl 2018, 423 = StraFo 2018, 308 = wistra 2018, 346 = DNotZ 2018, 708 = JR 2018, 641 = StV 2019, 46 = WM 2019, 84 m.w.N.).
b) Diesen Anforderungen wird das...